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Georg Wilhelm Friedrich Hegel

Hegels originelle Gotteslehre – 

Die nachstehende Betrachtung ist ein Teil des in der Entstehung befindlichen Essays mit dem Titel “ Gott, das wichtigste Thema“ (vgl hierzu den entsprechenden Beitrag unter “ Aktuelles“ vom 24.7.2021): 

In diesem Essay geht es nicht darum, eine Geschichte der Philosophie zu präsentieren, sondern im dritten Teil (Teil C) soll berichtet werden, wie einige der größten Philosophen der europäischen Geistesgeschichte sich mit dem Gottesthema auseinandersetzen. Bei den vorhergehenden Ausführungen über Kant habe ich diesen Rahmen gesprengt. Zum besseren Verständnis der kantischen Gottesgedanken und der traditionellen Metaphysik habe ich demgemäß seine Erkenntnislehre mitbehandelt und habe ihr einen breiten Raum eingeräumt. Hinzu kommt, dass ich als Restzeitler bei diesem Vorhaben endlich das lebenslang angestrebte Verständnis der grundlegenden Gedanken Kants erlangen wollte.

Dagegen habe ich zeitlebens ein distanziertes Verhältnis zu Hegel gehabt. Meine bisherige Betrachtungs- und Bearbeitungsscheu der Werke Hegels lässt sich mit den beiden folgenden Zitaten illustrieren, die ich in der kleinen Weltgeschichte der Philosophie von Hans Joachim Störig (Kohlhammer Verlag, 14.Auflage, S.454/455) gefunden habe.

„Ein amerikanischer Kritiker schreibt: Sie sind Meisterwerke der Unverständlichkeit, verdunkelt durch Abstraktheit und Knappheit des Stiles, durch eine verhängnisvolle Terminologie und durch die übertrieben vorsichtige Begrenzung aller Lehrsätze mit Hilfe eines geradezu gotischen Reichtums an einschränkenden Klauseln“.   

Schopenhauer schreibt: Das Publikum war genöthigt worden einzusehen (durch Kant), dass das Dunkle nicht immer sinnlos ist: sogleich flüchtete sich das Sinnlose hinter den dunklen Vortrag. Fichte war der Erste… Schelling that es ihm darin wenigstens gleich… Jedoch die größte Frechheit im Auftischen baaren Unsinns, im Zusammenschmieren sinnleerer, rasender Wortgeflechte, wie man sie bis dahin nur in Tollhäuser vernommen hatte, trat endlich in Hegel auf“.   

Wenn man völlig unvorbereitet mit den Texten Hegels konfrontiert wird, könnte man versucht sein, den obigen harschen Kritiken beizupflichten, ohne allerdings die maßlose und beleidigende Übertreibung   Schopenhauers zu akzeptieren.

Meine Vorbereitung zum Verständnis der Originaltexte besteht darin, ausführlich die erklärende Sekundärliteratur auszuwerten und danach mit eigenen Worten und eigener Vorstellung die wesentlichen Gedanken Hegels zu Gott vorzustellen. Dabei werde ich berücksichtigen, in welcher Weise der Gottesbegriff in das gesamte philosophische System Hegels eingebunden ist. Danach werde ich versuchen, zur Belegung meiner Vorstellung über Hegels Gotteslehre einschlägige Originalzitate zu finden.

Ich bin der Meinung, dass man die Theologie Hegels nur verstehen kann, wenn man die die wesentlichen Elemente seiner Philosophie zu Rate zieht.

Hegel stimmt mit Heraklit darin überein, dass das Leben ein unentwegter Prozess ist, in dem die Veränderung das einzig Beständige darstellt.  Dazu zwei Statements des griechischen Weisheitslehrers: „Alles fließt! Du steigst niemals in denselben Fluss“!

Mit dieser Betrachtungsweise bewertet Hegel den Weltenlauf, der nach seiner Erkenntnis nicht dualistisch stattfindet, also nicht nach dem strengen Entweder-oder, sondern nach dem Prinzip der Polarität, dem Sowohl-als auch. Aus der Berücksichtigung der Polarität entwickelt Hegel seine Lehre von der Dialektik. Nach dieser philosophischen Methode strukturiert Hegel die Entfaltung Gottes, die Entwicklung der Natur sowie der Menschen und ihrer Geschichte. 

Hegels Dialektik ist eine Kombination von drei Schritte der Bedenkung. Das erste Stadium ist der Grundbegriff oder das in dem Grundbegriff realisierte Ereignis oder Wesensmerkmal (These) In diesen Elementen sind neben ihren Eigenschaften im Rahmen der polaren Betrachtung auch das Gegenteil ihrer Eigenschaften oder anderes enthalten. Durch den unentwegten Ereignisprozess verwandelt sich der Grundbegriff mit seinen Applikationen in sein Gegenteil, in seine Verneinung oder in ein anderes (Antithese).  Dieses zweite Stadium ist aber kein Endzustand, sondern wird durch den steten Veränderungsprozess in ein drittes Stadium gehoben, die sogenannte Synthese, in der sich die Gegensätze bzw. Unterschiede aufheben und zu einem neuen, möglicherweise verbesserten und weiterführenden Ding zusammenwachsen.

Diese Dialektik ist die Grundstruktur der hegelschen Philosophie.

In ihrem gesetzmäßigen Prozess, also in ihrer fortlaufen Dreischrittigkeit, beschreibt Hegel, wie schon gesagt, die Verwirklichung Gottes, der sich als reiner unbewusster Geist über die Natur, also über den Kosmos und die Menschen zum selbstbewussten, absoluten, Geist entwickelt.

Gott ist also in seiner Endfassung der absolute Geist und insoweit die absolute Wahrheit. Im Gegensatz zum christlichen Gott, der ebenfalls absoluter Geist, aber von Ewigkeit her allmächtig und vollendet ist, stellt Hegel Gott als ein werdendes Wesen dar.

Die Entfaltung Gottes im Modus der Dialektik ist für Hegel der Rahmen, in dem er seine gesamte Philosophie entwirft.

Im dreistufigen Aufbau der hegelschen Philosophie befindet sich Gott, der auch als der Weltgeist bezeichnet wird, in der ersten Stufe im Zustand des An-sich-Seins. Das ist die These und damit der Bereich Gottes vor der Erschaffung der Welt und des Menschen in der raum- und zeitlosen Ewigkeit. Der Weltgeist wird von Hegel dort als reines Sein bewertet ohne hervortretende Eigenschaften. Das ist der unbewusste, der träumende Gott.

 Dieser so definierte Gott ohne alle Eigenschaften und in der Ewigkeit zeitlos und raumlos beheimatet, ist im dialektischen Prozess als Antithese das Nichts.   Als Synthese aus Sein und Nichts ergibt sich das Werden.

 Diese Synthese der ersten Stufe, also das Werden, ist gleichzeitig die These der zweiten Stufe, die auf dieser Ebene von Hegel als das Anderssein des Geistes bezeichnet wird. Dem Werden steht als Antithese das Vergehen gegenüber. Das ist die Entäußerung Gottes in die Welt, die schließlich in die Synthese des Daseins Gottes in der Welt mündet.

Die Synthese der zweiten Stufe ist also das Dasein Gottes also als sein Abbild in der Natur und damit die erschaffene der Welt mit den Menschen.

Vom Dasein oder vom Anderssein Gottes ausgehend wird diese Synthese der zweiten Stufe zur These der dritten Stufe, die über die Rückkehr Gottes zu sich selbst als Antithese zur Synthese der Hervorbringung des absoluten Geistes, der Vollendung Gottes führt.

Der dreistufige Aufbau ist also dialektisch und jede Stufe für sich ist ebenfalls dialektisch aufgebaut.

Geht man von diesem Gerüst aus und fasst die Einzelheiten der hegelschen Philosophie ins Auge, dann stellt er seine Philosophie in der ersten Stufe unter dem Titel „Logik“ dar, in der zweiten Stufe unter der Überschrift „Naturgeschichte und in der dritten Stufe unter der Bezeichnung „Geistesgeschichte“. 

Die Logik als erste Stufe der hegelschen Philosophie enthält, wie oben bereits vorgetragen, die Lehre über Gott in seinem Zustand des Ansichseins, also in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Welt und dann im weiteren Entwicklungsprozess bei seinem Eintritt in die Zeit. Diese Erkenntnis wird gewonnen allein durch die Arbeit des abstrakten Denkens, das in der Logik umfassend dargestellt wird.

An dieser Stelle beginne ich zu versuchen, die vorherigen Ausführungen durch Texte Hegels zu belegen und verwende dazu seine „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse“ („Enz“) in der Hoffenberg Sonderausgabe von 2017, herausgegeben von Karl-Maria Guth.

Dieses Werk hat Hegel geschaffen, um seinen Studenten einen erleichterten Zugang zu seinem gesamten Oeuvre zu bieten. Es ist, wie vorgehend besprochen, dreistufig aufgebaut und enthält die drei schon genannten Teilbereiche der Wissenschaft, den der Logik, der Naturphilosophie und der Philosophie des Geistes. 

Das menschliche Denken allein ist nach Hegel die Grundlage der Philosophie und damit insbesondere auch seiner Logik:

„Die Philosophie kann zunächst im allgemeinen als denkende Betrachtung der Gegenstände bestimmt werden. Wenn es aber richtig ist (und es wird wohl richtig sein), dass der Mensch durch Denken sich von dem Tiere unterscheidet, so ist alles Menschliche dadurch und allein dadurch menschlich, dass es durch das Denken bewirkt wird“ (Enz. §2)

„Die Logik ist die Wissenschaft der reinen Idee, das ist die Idee in den abstrakten Elementen des Denkens. ….Die Idee ist das Denken nicht als formales, sondern als die sich entwickelnde Totalität seiner eigentümlichen Bestimmungen und Gesetze….. Die Logik ist insofern die schwerste Wissenschaft, als sie es nicht mit Anschauungen, nicht einmal wie die Geometrie mit abstrakten sinnlichen Vorstellungen, sondern mit reinen Abstraktionen zu tun hat und eine Kraft und Geübtheit erfordert, sich in den reinen Gedanken , ihn festzuhalten und in solchem sich zu bewegen“ (Enz. §19).

Der Mensch definiert sich durch das Denken und unterscheidet sich dadurch vom Tier. Gegenstand der hegelschen Überlegungen in seiner Logik sind die Ideen, gekennzeichnet als reine Gedankenprodukte ohne Zuhilfenahme sinnlicher Erkenntnisse. Dabei werden die Ideen im Dreierschritt der Dialektik erkannt („die sich entwickelnde Totalität seiner eigentümlichen Bestimmungen und Gesetze“). Bei dieser höchst abstrakten Vorgehensweise des Denkens können nur solche Ideen gefunden werden, zu denen der denkende Mensch durch sein Denken Zutritt findet und zu denen er keine Verbindung in der erfahrbaren Welt besitzt. Das ist in erster Linie Gott, der den Ausgangspunkt und die Grundlage der Thematik der Logik darstellt. 

„Die Logik zerfällt in drei Teile: 1.Die Lehre von dem Sein. 2. Die Lehre von dem Wesen. 3. Die Lehre von dem Begriffe und der Idee“ (Enz. §83).

Beginnen wir mit der Lehre vom Sein: (Noch einmal zum besseren Verständnis: nachstehend wird die These der ersten Stufe , das reine Seins Gottes mittels der Aussagen Hegels behandelt):

„Das Sein ist der Begriff nur an sich, die Bestimmung desselben sind seiende, in ihrem Unterschied Andere gegeneinander, und ihre weitere Bestimmung (die Form des Dialektischen) ist Übergehen in Anderes. Diese Fortbestimmung ist in einem ein Heraussetzen und damit Entfaltung des an sich seienden Begriffs und zugleich das Insichgehen des Seins, ein Vertiefen desselben in sich selbst“ (Enz. § 84).

Wenn man das hegelsche Sein nach diesen schwierigen Ausführungen des Philosophen interpretiert, kommt man zum Ergebnis, dass das Sein grundsätzlich rein, also leer ist d.h.  ohne weitere Ausstattung daherkommt. Dies ist im dialektischen Prozess die These. Allerdings ist dem Sein eigen, dass es in der Zeit fortschreitet und sich verändert. Es bestätigt und entfaltet sich dabei und geht in ein anderes über. Das ist die Antithese.

„Das Sein selbst sowie die folgenden Bestimmungen…können als Definitionen des Absoluten, als die metaphysischen Definitionen Gottes angesehen werden… Denn Gott metaphysisch zu definieren heißt, dessen Natur in Gedanken als solchen ausdrücken“ (Enz. §85)

Im Rahmen des hegelschen Denkens ist das Sein der Ausgangspunkt seiner Philosophie und da das Sein mit dem Absoluten, also mit Gott gleichzusetzen ist, bestimmt der Gottesbegriff als Ansatz und in der Fortführung seiner dialektischen Überlegungen die Entwicklung seiner Lehre.

Nachstehend Weiteres zur Qualität des Seins:

„Das reine Sein macht den Anfang, weil es sowohl reiner Gedanke als das unbestimmte, einfache Unmittelbare ist, der erste Anfang aber nicht Vermitteltes und weiter Bestimmtes sein kann……

Wird das Sein als Prädikat des Absoluten ausgesagt, so gibt dies die erste Definition derselben. Das Absolute ist das Sein.

Es ist dies die (im Gedanken) schlechthin anfängliche, abstrakteste und dürftigste. Sie ist die Definition der Eleaten, aber zugleich auch das Bekannte, dass Gott der Inbegriff aller Realitäten ist. Es soll nämlich von der Beschränktheit, die in jeder Realität ist, abstrahiert werden, so dass Gott nur das Reale in aller Realität, das Allerrealste sei“ (Enz. § 86).

Immer wieder macht Hegel expressis verbis deutlich, dass seine Definitionen, Feststellungen, und Ableitungen reine Gedankenspiele sind („in Gedanken“, „im Gedanken“ „reiner Gedanke“), die keinen Bezug zur erfahrbaren Wirklichkeit besitzen. In seinen strukturellen und materiellen Grenzen ist der menschliche Geist frei, alle Gedanken zu denken, die denkbar sind, auch wenn sie absolut in keiner Weise mit der menschlichen Erfahrung in Verbindung stehen. Wenn allerdings aus diesen Phantasieprodukten gesellschaftliche, religiöse oder politische Zwänge erwachsen, wird man ihnen mit Skepsis begegnen.

Solche Zweifel sind bei Hegel nicht angebracht, denn seine Gotteslehre ist bei aller Gedankenfreiheit nachvollziehbar und entspricht teilweise früheren philosophischen   Überlegungen. Er sagt explizit, dass Gott das reine Sein ist. Das ist ein Deutungsvorgang, bei dem Hegel nach eigenem Gutdünken einen Satz dergestalt aufstellt, dass, wenn man dessen Subjekt „Das Absolute“ das Prädikat „Sein“ beifügt, sich die Definition „Das Absolute ist das Sein“ ergibt. Das Sein ist rein, also unbestimmt, einfach und unmittelbar. In ihm steckt weder eine vermittelte Eigenschaft noch irgendeine Bestimmung. Das Sein ist demgemäß völlig leer, abstrakt und steht dazu am Anfang

Diese vorhergehende Aussage ist die These der ersten Stufe der hegelschen Philosophie.

Dialektisch geht es weiter. Jetzt ist die Antithese zu zitieren:

„Dieses reine Sein ist nun die reine Abstraktion, damit das Absolut Negative, welches, gleichfalls unmittelbar genommen, das Nichts ist“ (Enz. §87).

Bevor ich diese Antithese mit weiteren hegelschen Gedanken ausleuchte, möchte ich mir den Prozess der Dialektik an einem Beispiel verständlich machen, das auch Hegel veranlasst hatte, seine Version der Dialektik zu entwickeln. Es geht um den Begriff der Liebe. Die entsprechenden Ausführungen Hegels, die er laut des „Historischen Wörterbuchs der Philosophie, Bd.2, Dialektik, Hegel“ in seinen Theologischen Jugendschriften S.141ff gemacht hat, liegen mir nicht vor, sodass ich sie nicht direkt zitieren kann. Aber in der Sekundärliteratur bin ich fündig geworden. In Wilhelm Weischedels Philosophischer Hintertreppe, 22.Aufl. S.256 f — nebenbei das klarste und verständlichste philosophische Erklärungswerk—habe ich den gesamten Vorgang der hegelschen Entdeckung seiner Dialektik gefunden und werde ihn nachstehend vollständig zitieren:

 „Demgegenüber geht es Hegel darum, die Einigkeit des ganzen Menschen zu wiederzugewinnen. Er findet sie in der Liebe. Diese kann Ausdruck des sittlichen Wesens des Menschen sein, und sie entspricht doch auch seinen natürlichen Neigungen. So wird die Frage nach dem Wesen der Liebe zum Ausgangspunkt des Denken Hegels; hier macht er seine ersten entscheidenden Entdeckungen, die den Grundriss für sein ganzes Philosophieren bilden.

 Denn in der Liebe begegnet Hegel zum ersten Mal ein Moment, das er dann in der ganzen Wirklichkeit wiederfindet: die Dialektik. Deren Wurzeln liegen also nicht im abstrakten Denken; ihre Entdeckung erwächst vielmehr aus der Betrachtung eines konkreten Phänomens. Von daher kommt Hegel zu der Einsicht: Dialektik ist ursprünglich nicht eine Sache der philosophischen Reflexion, sondern das wesentliche Strukturmoment der Wirklichkeit.

Was nun gehört zur Liebe als einem lebendigen Vorgang zwischen Liebenden? Zunächst muss ein Liebender da sein; er muss gleichsam zu sich selbersagen: ich bin; er muss sich selbst bejahen, sich selbst setzen. Das ist, formal ausgedrückt, die Thesis im Gesamtgefüge des Geschehens von Liebe. Aber zur Liebe gehört weiterhin, dass der Liebende aus sich hinausgeht, dass er sich dem Geliebten hingibt, sich in diesem vergisst und sich damit sich selber entfremdet. Wie er so von sich selbst absieht, negiert er die anfängliche Setzung seiner selbst und setzt den anderen sich gegenüber. Zur formalen Struktur der Liebe gehört daher nicht nur die Thesis, sondern auch die negierende Antithesis. Doch damit ist das Phänomen noch nicht voll begriffen. Entscheidend ist, dass der Liebende, indem er sich in dem Geliebten vergisst, eben dadurch  sich eigentlich wiederfindet; in der Hingabe an den Geliebten wird er sich seiner selbst in einem tieferen Sinne bewusst. Denn „das wahrhafte Wesen der Liebe besteht darin, das Bewusstsein seiner selbst aufzugeben, sich in einem anderen Selbst zu vergessen, doch in diesem vergehen und Vergessen sich selbst zu haben und zu besitzen“. Jene Negation in der Antithesis wird also ihrerseits wiederum negiert.  Die Entfremdung wird aufgehoben und eben dadurch kommt eine wahrhafte Synthesis zwischen dem Liebenden und dem Geliebten zustande

Der Vorgang der Liebe zeigt somit die Strukturen eines dialektischen Prozesses, und zwar als eines lebendigen Vorgangs. …. Wie Hegel die Liebe noch eingehender betrachtet, entdeckt er: sie ist nicht vereinzeltes Vorkommnis im Ganzen der Wirklichkeit, sondern sie durchherrscht diese in vielfacher Weise; sie ist ein Grundvorgang der Wirklichkeit. …..Das heißt aber: was in der Liebe zur Erscheinung kommt, ist das Leben selbst“.

Nach diesem Einschub kehre ich zudem davor präsentierten hegelschen Zitat zurück, in dem er das Sein als These zum Nichts als Antithese in Beziehung setzt.

Der Übergang vom reinen Sein zum Nichts geschieht ohne Dynamik, also ohne Ereignisse.

Das dürfte daran liegen, dass der Begriff des Seins der allererste und grundlegendste Begriff ist, der seine Dynamik in sich selbst enthält und aus diesem Grund sich selbst in sein Gegenteil definiert. Gott also ist als These das reine Sein und als Antithese das Nichts. 

„Es folgt hieraus die zweite Definition des Absoluten, dass es das Nichts ist.; in der Tat ist sie darin enthalten, wenn gesagt wird , dass das Ding-an-sich das Unbestimmte, schlechthin Form- und damit inhaltlos  ist,  – oder dass auch Gott nur das höchste Wesen und sonst weiter nichts ist, denn als solches ist er als ebendieselbe Negativität ausgesprochen; das Nichts, das die Buddhisten zum Prinzip von allem wie zum letzten Endzweck und Ziel von allem machen, ist dieselbe Abstraktion“ (Enz. § 87)

Das reine Sein (also das Absolute, Gott) ist gleichzeitig das Nichts, weil das Nichts ebenfalls leer und unbestimmt ist. Insoweit sind das reine Sein und das Nichts gleich und kein Gegensatz, der die Antithese zulassen würde. Aber im Vergleich zum Nichts existiert das Sein und das Nichts existiert nicht. Wegen dieses Gegensatzes wird das „Nichts“ zur Antithese der These „reines Sein“.

Da gemäß Hegel Gott ein Wesen der Entwicklung ist und er, wie sich noch zeigen wird, in der hegelschen Lehre auch seine Vollendung erfährt, müsste man das „Nichts eigentlich an den Anfang setzen und damit zur These nominieren, sodass das „Sein“ sich als Antithese darstellen würde. Da aber für   den menschlichen Betrachter Gott sich anfangs in der Ewigkeit befindet, die für uns nicht existent ist und damit   für uns zusammen mit Gott das „Nichts“ bedeutet, entsteht die Existenz Gottes für uns erst mit Erschaffung von Raum und Zeit. Mit seiner Existenz gewinnt Gott das reine Sein als Ausgangspunkt für seine weitere Entwicklung. Da das reine Sein also das Existente ist, ist es philosophisch an den Anfang zu setzen und als These zu betrachten.  

Nach dieser meiner Interpretation der Beziehung der Grundbegriffe „Sein“ und „Nichts“ sind weitere einschlägige Ausführungen Hegels angesagt:

„Das Nichts ist als dieses unmittelbare, sich selbst gleiche, ebenso umgekehrt dasselbe, was das Sein ist. Die Wahrheit des Seins sowie des Nichts ist daher die Einheit beider; diese Einheit ist das Werden.

Ebenso richtig als die Einheit des Seins und Nichts ist es aber auch, dass sie schlechthin verschieden sind, – das eine nicht ist, was das andere ist. Allein weil der Unterschied hier sich noch nicht bestimmt hat, denn Sein und Nichts sind noch das unmittelbare, so ist er, wie er an denselben ist, das Unsagbare, die bloße Meinung“ (Enz. § 88).

Dass das reine Sein und das Nichts gleich sind oder wie Hegel sagt, eine Einheit bilden, ist, wie schon erörtert, nachvollziehbar, weil beide Begriffe leer und inhaltslos sind und einen Anfang markieren. Verständlich ist auch dass das reine Sein und das Nichts sich dialektisch in ihrer Synthese als „Werden“ vereinen und aufheben. Schwieriger erscheint mir der Umstand, bei der vollen Gleichheit der Begriffe einen relevanten Unterschied im Sinne des Gegensatzes zu finden, der aber für die Annahme eines dialektischen Prozesses notwendig ist. Trotz ihrer Gleichheit sind das reine Sein und das Nichts nach Hegel schlechthin verschieden, weil das Eine sei nicht was das Andere sei. Die Begründung für diesen Gegensatz aber bleibt Hegel uns schuldig. Weil das reine Sein und das Nichts das Unmittelbare seien, sei ihr Unterschied noch nicht bestimmt und deshalb müsse man die Unterschiedlichkeit als das Unsagbare, als bloße Meinung bezeichnen. Dieses Statement Hegels konsterniert mich, zumal ich bereits für die Gegensätzlichkeit eine vernünftige Lösung dergestalt gefunden habe, dass das reine Sein existiert und das Nichts nicht existiert.

Für die Gotteslehre Hegels in der ersten Stufe seiner Philosophie, also der „Logik“ gilt also folgendes: Gott ist das reine Sein als These und das Nichts als die Antithese, aus dem als Synthese das Werden Gottes hervorgeht. Die Synthese der ersten Stufe, also das Werden Gottes ist gleichzeitig die These der zweiten Stufe, aus der sich als Antithese die Selbstentäußerung Gottes in die Welt eröffnet indem er sich in Raum, Zeit und Materie entäußert. „Diese Selbstentfremdung der Gottheit ist Weltwerden“ (Weischedel a.a.O. S.262)

Das „Weltwerden“ als Antithese der zweiten Stufe führt zur Synthese der zweiten Stufe, dem Dasein Gottes in der Welt und damit von seinem Zustand des Träumens zur Erkenntnis seines Andersseins. Dieses Anderssein ist der Zustand des Universums, den Hegel in der zweiten Stufe, der „Naturphilosophie beschreibt.

Die Synthese der zweiten Stufe besteht darin, dass Gott im Rahmen der Enthüllung der Welt in seinem Geist erkennt, dass er als reines Sein einerseits und als Dasein in der Welt andererseits kein Gegensatz bildet, sondern ein und dasselbe Phänomen darstellt. 

Diese Versöhnung als Synthese der zweiten Stufe, ist hinwiederum die These der dritten Stufe der hegelschen Lehre, der „Philosophie des Geistes. Nachdem sich Gott in seiner Gesamtheit und Einheit erkannt hat, beginnt in Fortführung des dialektischen Prozesses seine Entfaltung zum absoluten Geist.

Nachstehend werde ich die Stufen zwei und drei der Hegelschen Philosophie durch weitere Details vertiefen.

Diese beabsichtigte Vertiefung bereitet aber insoweit Schwierigkeiten, als die aus der Sekundärliteratur gewonnen Erkenntnisse nur schwerlich aus den mir vorliegenden Originaltexten belegt werden können.

Zur Stufe zwei des göttlichen Entwicklungsprozesses, also dem Werden und Dasein Gottes in der Welt, dargelegt in der hegelschen „Naturphilosophie“ zitiere ich folgendes:

„Begriff der Natur: Die Natur hat sich als Idee in der Form des Anderssein ergeben. Da die Idee so als das Negative ihrer selbst oder sich äußerlich ist, so ist die Natur nicht äußerlich nur relativ gegen diese Idee (und gegen die subjektive Existenz derselben, den Geist), sondern die Äußerlichkeit macht die Bestimmung aus, in welcher sie Natur ist“ (Enz. §247).

Das Anderssein Gottes, also sein Werden aus dem reinen Sein in das Dasein ist die Natur und somit das Wesen oder der Urgrund des Universums. Gott ist also nicht die Natur als solche, sondern Gott bildet sich in seinen Seinsprinzipien (also seinen Möglichkeiten und Kompetenzen) in der Welt ab. Deswegen kann man auch Hegels Gotteslehre nicht als Pantheismus bezeichnen.

Und weiter:

„Die Natur ist darum nach ihrer bestimmten Existenz, wodurch sie eben Natur ist, nicht zu vergöttern, noch sind Sonne, Mond, Tiere, Pflanzen usf. vorzugsweise vor menschlichen Taten und Begebenheiten als Werke Gottes zu betrachten und anzuführen.

Die Natur ist an sich, in der Idee göttlich, aber wie sie ist, entspricht ihr Sein ihrem Begriffe nicht: sie ist vielmehr der unaufgelöste Widerspruch. Ihre Eigentümlichkeit ist das Gesetztsein, das Negative, wie die Alten die Materie überhaupt als das non-ens gefasst haben. So ist die Natur auch als der Abfall von der Idee von sich selbst ausgesprochen worden, indem die Idee als diese Gestalt der Äußerlichkeit in der Unangemessenheit ihrer selbst mit sich ist.

Nur dem Bewusstsein, das selbst äußerlich und dann unmittelbar ist, d.i. dem sinnlichen Bewusstsein, erscheint die Natur als das Erste, Unmittelbare, Seiende. Weil sie jedoch, obzwar in solche Elemente der Äußerlichkeit, Darstellung, der Idee ist, so mag und soll man in ihr wohl die Weisheit Gottes bewundern“ (Enz. §248)

Im ersten Absatz wird nochmals bestätigt, dass die Natur nicht der Körper Gottes ist, dass also Hegel einen Pantheismus nicht vertritt. Die Natur ist vielmehr ein „unaufgelöster Widerspruch“, d.h. mit anderen Worten: Die Natur ist die Antithese zur These der zweiten Stufe, dem Weltwerden Gottes, sie ist das Sinnbild Gottes in Raum, Zeit und Materie, oder anders ausgedrückt: der Kosmos ist die Verwirklichung  der Idee Gottes („ die Natur als Abfall von der  Idee“ Gottes).

Dem menschlichen Bewusstsein allerdings erscheint die Natur nicht als das Mittelbare, sondern als das „Erste“ und das unmittelbar Seiende. Trotzdem könne man in der Natur als der äußeren Darstellung der Idee Gottes dessen Weisheit bewundern.

In der dritten Stufe der hegelschen Philosophie, die gleichzeitig auch die Synthese der beiden vorhergehenden Stufen darstellt, behandelt Hegel unter dem Titel „Die Philosophie des Geistes“ ebenfalls dialektisch die weitere Entfaltung Gottes.

Gott ist im Dasein angelangt und erkennt, dass sein Dasein und sein reines Sein dasselbe ist. Auf Grund dieser Versöhnung kann Gott sich selbsterkennend fortentwickeln. Sensationell dabei ist die Vorstellung Hegels, dass dieser göttliche Erkennungsprozess sich im menschlichen Geist vollzieht.  „Und wenn der menschliche Geist die Natur erkennt, so heißt das in Wahrheit: die im menschlichen Geiste anwesende Gottheit erkennt sich selbst“ (Weischädel a.a.O. S. 263).

Die Fortentwicklung Gottes ereignet sich also im Menschen, in dessen Geist und in dessen Werken Gott zu seinem vollendeten Bewusstsein gelangt. Dieses umfassend erlangte Selbstbewusstsein Gottes ist die Synthese der dritten Stufe. Gott erkennt sich in seiner Gänze in den durch den menschlichen Geist bewirkten Handlungen und Werken, also insbesondere in deren sozialer und geschichtlicher Entwicklung, in ihrem Rechtswesen, in ihrer Kunst und vor allem deutlich in ihrer Religion und Philosophie. „Wenn dieses schließlich dahin gelangt, dass der Mensch die ganze Wirklichkeit als Darstellung des göttlichen Geistes begreift, dann heißt das: Die Gottheit hat aus dem Abenteuer ihres Weltwerdens und ihrer Zerrissenheit wieder zu sich gefunden“ (Weisschädel a.a.O. S.265).

Zur Rundung meiner Darstellung der Gotteslehre Hegels werde ich nachstehend einige Aussagen des Philosophen vortragen, die einerseits vorherige Aussagen belegen oder andererseits die bisherigen Erkenntnisse ergänzen.

Zunächst möchte ich die hegelsche These durch einen hegelschen Text verifizieren, dass Gott sein vollendetes Selbstbewusstsein im Bewusstsein des Menschen erlangt:

„Was Gott als Geist ist, dies richtig und bestimmt im Gedanken zu fassen, dazu wird gründliche Spekulation erfordert. Es sind zunächst die Sätze darin enthalten: Gott ist nur Gott, insofern er sich selber weiß. Sein Sichwissen ist ferner sein Selbstbewusstsein im Menschen und das Wissen des Menschen von Gott, das fortgeht zum Sichwissen des Menschen in Gott“ (Enz. § 564).

Die Menschen und Gott stehen bei Hegel in einer engen existentiellen Verbindung. Es ist sehr tröstlich und erhebend für den Menschen zu wissen, dass er in Gott aufgehoben ist.  Aber dies noch dramatisch übertreffend ist Hegels These, dass Gott nur Gott ist, wenn sein Selbstbewusstsein im Menschen angesiedelt ist. Das von Hegel den Menschen in diesem Zusammenhang zugesprochenen „Wissen“ kann ich leider nicht akzeptieren, weil ich mich durch Kant in diesen Fragen im Glauben eigerichtet habe.

Allerdings schränkt Hegel das Wissen von Gott ein:

„Endlich soll das unmittelbare Wissen von Gott sich nur darauf erstrecken, dass Gott ist und nicht was Gott ist; denn das Letztere würde eine Erkenntnis sein und auf vermitteltes Wissen führen. Damit ist Gott als Gegenstand der Religion ausdrücklich auf den Gott überhaupt, auf das unbestimmte Übersinnliche beschränkt und die Religion ist in ihre Inhalte auf ihr Minimum reduziert“ (Enz.§ 73).

Die Eigenschaften Gotte stellen also kein unmittelbares Wissen dar, sondern sind als vermitteltes Wissen definiert. Dieses vermittelte Wissen speist sich aus den jeweiligen religiösen Offenbarungen, wobei Hegel den christlichen Offenbarungen mittelbaren Wissensgehalt zubilligt.

An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, wie sich Hegel im Hinblick auf die Gottesproblematik gegenüber dem Christentum positionierte. Hierzu finde ich im „Historischen Wörterbuch der Philosophie“ eine kurze und gut belegte Betrachtung, die ich nachstehend zitiere:

 „In seinen Hauptschriften beansprucht Hegel, das Christentum nach seinen wesentlichen Inhalten philosophisch-begrifflich zu durchdenken. Er wendet sich damit gegen die weit verbreitete Tendenz seine Zeit, die Unerkennbarkeit Gottes zu behaupten: Gott kann und soll erkannt, d.i. denkend bestimmt werden; denn er ist gütig und nicht wie in der griechischen Mythologie, neidisch. Er teilt sich den Menschen mit und hat sich in der christlichen Welt offenbart. Für den Christen ist Gott nicht mehr ein Unbekanntes, der Christ ist in die Mysterien Gottes eingeweiht. Gott ist und gibt sich ein Verhältnis zu den Menschen, er hat sich herabgelassen bis zur Knechtsgestalt und existiert somit nicht als abstraktes höchstes Wesen getrennt von der Welt, als Jenseits des menschlichen Selbstbewusstseins. Sondern es ist Gottes Selbstbewusstsein, welches sich in dem Wissen des Menschen weiß. In der christlichen als der einzigen wahren Religion ist die göttliche Idee so als die Einheit der göttlichen und menschlichen Idee offenbart. Philosophie und Religion haben denselben Gegenstand, nämlich, in dem, dass Gott die Wahrheit und er allein die Wahrheit ist“ (a.a.O. S.785 Bd. 3 und Hegel unter Stichwort „Gott“)

Zu Abschluss meiner Erörterung der hegelschen Gotteslehre gebe ich meiner Bewunderung und meiner Verwunderung darüber Ausdruck, wie kühn Hegel mit seinem Thema „Gott“ umgeht und wie maßlos bedeutsam er dabei die Rolle des Menschen einschätzt.

Dieses couragierte Philosophieren ermöglichte er sich dadurch, dass er davon überzeugt war, durch reines begriffliches Denken, also ohne Zuhilfenahme der Erfahrung, die Wahrheit zu erkennen. Die Überschätzung des Menschen dürfte darauf beruhen, dass zu Hegels Zeiten sich die entsetzlichen menschlichen Tragödien des 20.Jahrhunderts noch nicht ereignet hatten und dass die unvorstellbaren Dimensionen des Kosmos noch nicht bekannt waren.

Seine Vorstellung, dass sein Gott, nicht wie der christliche Gott ein ewig gleichbleibender, unvorstellbar mächtiger Allvater ist, sondern ein aus einem universellen Traum sich entwickelnder reiner Geist, hängt damit zusammen, dass er alle Denk- und Lebensvorgänge dialektisch deutet. Wenn Gott sich in seiner dritten dialektischen Stufe, der Synthese zum absoluten Geist hochentwickelt und als solcher auch die Wirklichkeit der Menschheit und ihrer Geschichte widerspiegelt, dann kann man an diesem hegelschen Gedankenwerk im Hinblick auf die Unzulänglichkeit und Unvollkommenheit unserer Welt keine erfolgreiche Gottheit ablesen.

Wichtig erscheint mir auch, dass Hegel sich nicht von Kant auf den Glauben an Gott hat verweisen lassen, sondern dass er die Existenz Gottes weiß und dessen Eigenschaften als Tatsachen fühlt. Schließlich bejaht er das Christentum und bezeichnet diese Religion als das einzig wahre Bekenntnis zu Gott.