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Immanuel Kant

In der sechsten Folge meines Weges zum Verständnis Kants werde ich somit die transzendentale Dialektik behandeln.

 

Eigentlich steht schon an diesem Ort der Betrachtung fest, dass außer in der Mathematik synthetische Sätze a priori nicht wahr sein können, dass also die Metaphysik keine Wissenschaft darstellt.

Kant begnügt sich nicht mit diesem Ergebnis, sondern vollendet in seiner transzendentalen Dialektik die Sicht auf  den menschlichen Denkvorgang durch die Einführung der menschlichen Vernunft mit der Folge, dass eine neue Beurteilung  der synthetischen Sätze a priori und damit auch der Metaphysik gewonnen wird.

Nebenbei möchte ich anmerken, dass ich ausdrücklich vorstehend nicht vom menschlichen Denkapparat, sondern vom Denkvorgang gesprochen habe, weil Kant seine Überlegungen nicht an der Existenz und an der Struktur unseres Gehirns festmacht, also an der Quelle all unseres Denkens, sondern an der Produktion des Gehirns, also  an dem gestaltlosen Denken und Fühlen eines immateriellen menschlichen Geistes. Insoweit wage ich hier zu behaupten, dass auch Kants Philosophie keine Naturwissenschaft ist mit objektiv zutreffenden Ergebnissen im Rahmen der menschlichen Erkenntnismöglichkeiten. Vielmehr ist sein Werk, wie bei allen Philosophien ein weiterer, wenn auch genialer und zum Teil dunkler Versuch, die Welt mit den immateriellen Kompetenzen unseres materiellen Gehirns und in dessen Grenzen zu erklären.

Da niemand weiß, was die ganze Wahrheit ist, darf man auswählend für einzelne philosophische Aussagen Partei ergreifen. Ich bin ein Kantianer!

 

Der Verstand ist bei Kant nicht, wie bereits oben ausgeführt, ein produzierendes körperliches Organ, sondern ein Denkvorgang. Dieselbe Eigenschaft besitzt auch die auf den Verstand aufbauende und ihn weiterführende Vernunft.

„Alle unsere Erkenntnis hebt von den Sinnen an, geht von da zum Verstande und endigt bei der Vernunft, über welche nichts Höheres in uns angetroffen wird, den Stoff der Anschauung zu bearbeiten und unter die höchste Einheit des Denkens zu bringen“ (a.a.O. AA S. 238).

Dieses Zitat steht in der Kritik unter der Überschrift: Von der reinen Vernunft als die Sitze des transzendentalen Scheins.

Hier wird deutlich gemacht, dass in der Vernunft neben anderem auch der Geburtsort der Metaphysik liegt, der Welt des transzendentalen Scheins, also der haltlosen Phantasien.

„ Wir haben es mit dem transzendentalen Scheine zu tun, der auf Grundsätze einfließt, deren Gebrauch nicht einmal auf Erfahrung angelegt ist , als in welchem Falle wir doch wenigstens einen Probierstein ihrer Richtigkeit haben würden, sondern der uns selbst wider alle Warnungen der Kritik gänzlich über den empirischen Gebrauch der Kategorien wegführt und uns mit dem Blendwerke einer Erweiterung des reinen Verstandes hinhält (a.a.O. AA S. 236)

Dieser sogenannte transzendentale Schein ist also das Arbeitsergebnis der Vernunft und hebt sich ab von den Erzeugnissen des Verstandes, die, wie schon mehrfach ausgeführt, aus den Sinnen und damit aus der Anschauung und weiter aus der Erfahrung gebildete Erkenntnisse sind.

„Der Verstand mag ein Vermögen der Einheit der Erscheinungen vermittelst der Regeln sein, so ist die Vernunft das Vermögen der Einheit der Verstandesregeln unter Prinzipien. Sie geht also niemals zunächst auf Erfahrung oder auf irgendeinen Gegenstand, sondern auf den Verstand, um den mannigfaltigen Erkenntnissen desselben Einheit a priori durch Begriffe zu geben, welche Vernunftseinheit heißen mag und von ganz anderer ist, als sie vom Verstande geleistet werden kann“ (a.a.O. AA S. 239/240).

Die Vernunft schafft also keine neuen Erkenntnisse, sondern ist die Beschäftigung mit den im Verstand enthaltenen Kategorien und Urteilen. Dabei strebt die Vernunft unentwegt danach, ihr Wissen zu erweitern, auch über den Bereich des Erfahrbaren hinaus. 

Um nicht im Abstrakten zu verbleiben, möchte ich nachstehend schon an dieser Stelle und vor den weiteren Lehren Kants über die Vernunft bedenken, wie Verstand und Vernunft den folgenden synthetischen Satz a priori behandeln: „ Gott ist der Schöpfer des Universums“.

Mir erscheint sicher, dass der Verstand zunächst diesen Satz, anders gesagt, dieses Urteil, erst einmal produzieren muss. Dabei nimmt er in Kauf, dass er für das Subjekt des Satzes einen Gegenstand auswählt, der nicht mit den Sinnen wahrgenommen werden kann und damit nicht der Erfahrung unterliegt. Die Beziehung zu diesem abstrakten Gegenstand „Gott“ wird durch das Prädikat des Satzes hergestellt, das zwei Elemente enthält, nämlich einmal den sinnlich erfahrbaren Kosmos und zum anderen die Kausalität als Verstandeskategorie. Das Handicap dieses Urteils, nämlich dass sein Subjekt, also „Gott“, keinen objektivierbaren Sinnenwert und damit keinen Erfahrungsinhalt besitzt, also ein leerer Begriff ist, führt dazu, dass die höhere Instanz, die Vernunft, das Urteil in ihre Kompetenz überführt und entscheidet, ob dem Urteil Wahrheitsgehalt zuzusprechen ist. Das hier behandelte Urteil ist beheimatet in der Metaphysik und vor Kant hat die Vernunft, insbesondere in der Interpretation der Rationalisten, es verifiziert und damit den von Kant sogenannten transzendentalen Schein erzeugt.  Das hängt damit zusammen, dass die Vernunft bestrebt ist, im Bereich der Begriffe höhere Einheiten zu bilden und das Begriffliche als ihr zugewiesenes Tätigkeitsfeld zu betrachten. Dieser Begrifflichkeit ist eigen, dass sie über die Grenzen des Erfahrbaren hinausstrebt und dabei im Land der Phantasie aufschlägt. Damit befriedigt sie die Sehnsucht der Menschen, die Unendlichkeit und Unerklärlichkeit der Welt zu erkunden und den Urgrund des Seins, die Seele, das Leben und schließlich Gott zu ergründen.  

 

Die Arbeit der Vernunft habe ich bis jetzt nur an den vom Verstand erbrachten Urteilen beschrieben. Die Vernunft verschafft sich aber darüber hinaus aus den ihr zugrunde liegenden reinen Begriffen neue Erkenntnisse, die Kant als Ideen bezeichnet. In diesen Ideen sind u.a. die großen Gegenstände der Metaphysik enthalten, also z.B. die ewige Seele, die Welt und Gott.

 

Zum weiteren Dialog mit Kant kehre ich zu den Prolegomena zurück, weil sie die jetzt näher zu behandelnden Themata, Vernunft, Ideen und Metaphysik knapper und deutlicher behandeln.

Die transzendentale Hauptfrage dritter Teil lautet: „Wie ist Metaphysik überhaupt möglich?“ Um diese Frage beantworten zu können, muss Kant, wie bereits überschlägig dargestellt, die Struktur und die Arbeitsweise des Erzeugers der Metaphysik, also der Vernunft erkunden:

„Metaphysik hat es …mithin zu tun mit Begriffen, deren objektive Realität (dass sie nicht bloße Hirngespinste sind), und mit Behauptungen, deren Wahrheit oder   Falschheit durch keine Erfahrung bestätigt oder aufgedeckt werden kann.    …..Die uns jetzt vorgelegte dritte Frage betrifft also gleichsam den Kern und das Eigentümliche der Metaphysik , nämlich die Beschäftigung der Vernunft bloß mit sich selbst , und, indem sie über ihre eigenen Begriffe brütet, die unmittelbare daraus vermeintlich entspringende Bekanntschaft mit Objekten , ohne dazu der Vermittlung der Erfahrung nötig zu haben noch überhaupt durch dieselbe  dazu gelangen zu können“ (Proleg. §40, 327)

Ich habe die obigen Überlegungen   zitiert, um erneut zu verdeutlichen, dass Kant die Metaphysik als ein Produkt der Vernunft ansieht und dass die Vernunft hierbei ohne Bezug auf die Erfahrung zu Erkenntnissen gelangt, die keine Beziehung zu Realität enthalten. In den folgenden Ausführungen wird Kant diesen Tatbestand näher untersuchen.

 

„Sowie also der Verstand der Kategorien zur Erfahrung bedurfte, so enthält die Vernunft in sich den Grund zu Ideen, worunter ich notwendige Begriffe verstehe, deren Gegenstand gleichwohl in keiner Erfahrung gegeben werden kann. Die letzteren sind ebenso wohl in der Natur der Vernunft als die ersteren in der Natur des Verstandes gelegen“ (Proleg. § 40, 328).

Während der Verstand reale Erkenntnisse gewinnt durch den Gebrauch der Sinne, also durch die Erfahrung und der Verwendung der reinen Verstandesbegiffe, den Kategorien, beschränkt sich die Vernunft auf die Ideen, den transzendentalen Vernunftsbegriffen ohne Beachtung der Realität mittels der Erfahrung.

„Alle reinen Verstandesbegriffe haben es an sich, dass sich ihre Begriffe in der Erfahrung geben und ihre Grundsätze durch die Erfahrung  bestätigen lassen; dagegen   die transzendentalen Vernunftsbegriffe sich weder, was ihre Ideen betrifft, in der Erfahrung  geben noch ihre Sätze jemals durch Erfahrung bestätigen noch widerlegen lassen ; daher der vielleicht einschleichende Irrtum durch nichts anderes als reine Vernunft  selbst aufgedeckt werden kann, welches aber sehr schwer ist , weil eben diese  Vernunft vermittelst ihrer Ideen natürlicherweise dialektisch wird, und dieser unvermeidliche Schein durch keine objektiven  und dogmatischen Untersuchungen , sondern bloß durch subjektive der Vernunft selbst als eines Quells der Ideen  in Schranken gehalten werden kann“ (Proleg. § 42 , 329 330).

Wir als die Adepten Kants werden zum wiederholten Mal von ihm darauf hingewiesen, dass die Vernunft agiert ohne Beziehung zur Sinnenwelt und damit ohne Erfahrungsgebrauch. Das hat zur Folge, dass die Vernunft Scheinerkenntnisse, also unbeweisbare Phantasieprodukte hervorbringt, die dann als reale Erkenntnisse in der Metaphysik präsentiert werden. Die Vernunft hat bis zu Kants Eingreifen nicht vermocht, diese Scheinwahrheiten als solche zu erkennen. Dass sie aber trotzdem in der Lage ist, in einem denkerischen Höhenflug ihre „Anmaßungen“ in Schranken zu halten, hat uns der Weltphilosoph Kant durch seine, für mich steinbruchachartig anmutende „Kritik“, aufgezeigt.  

 

Die Erzeugnisse der Vernunft sind, wie schon vorstehend angemerkt, die Ideen.  Der Ursprung der Ideen ist in den drei Funktionen der Vernunftschlüsse zu suchen.

„Der formale Unterschied der Vernunftschlüsse macht die Einteilung derselben in kategorische, hypothetische und diskursive notwendig. Die darauf gegründeten Vernunftsbegriffe enthalten also erstlich die Idee des vollständigen Subjekts (Substantiale), zweitens die Idee der vollständigen Reihe der Bedingungen, drittens die Bestimmung aller Begriffe in der Idee eines vollständigen Inbegriffes des Möglichen. Die erste Idee war physiologisch, die zweite kosmologisch, die dritte theologisch; und da alle drei zu einer Dialektik Anlass geben, doch jede auf ihre eigene Art, so gründet sich darauf die Einteilung der ganzen Dialektik der reinen Vernunft: in den Paralogismus, die Antinomie und endlich das Ideal derselben“ ( Proleg.§43, 330)

Die Vernunft ist also nach Kant eingeteilt in drei Denkebenen, aus denen die drei Ideen hervorgehen, also erstens die physiologische, das ist die Seele, zweitens die kosmologische, das ist die Welt und drittens die theologische, das ist Gott. Alle drei Ideen geben Veranlassung zur Dialektik. Sie sind also gegensätzlich interpretierbar. Darüber wird später die Rede sein.

Bevor ich über die einzelnen Ideen berichte, möchte ich zwei Zitate aus den Prolegomena vortragen, in denen Kant   über den Scheincharakter der Ideen und über deren Nützlichkeit spricht.

„Es hat aber keine Gefahr, dass der Verstand von selbst, ohne durch fremde Gesetze gedrungen zu sein, über seine Grenzen so ganz mutwillig in das Feld von bloßen Gedankenwesen ausschweifen werde. Wenn aber die Vernunft, die mit keinem Erfahrungsgebrauche der Verstandesregeln, als der immer noch bedingt ist, völlig befriedigt sein kann, Vollendung dieser Kette von Bedingungen fordert, so wird der Verstand aus seinem Kreise getrieben, , um teils Gegenstände der Erfahrung in einer soweit erstreckten Reihe vorzustellen, dergleichen gar keine Erfahrung fassen kann, teils sogar (um sie zu vollenden) gänzlich außerhalb derselben Noumena (Gedankendinge) zu suchen, an welche sie jene Kette knüpfen und dadurch,  von Erfahrungsbedingungen endlich einmal unabhängig, ihre Haltung gleichwohl vollständig machen könne.

Bevor ich den zweiten Teil dieses Zitats über den Scheincharakter der Ideen präsentiere, möchte ich den vorigen Text kurz erläutern.

Der Verstand ist, wie Kant immer wieder darlegt, unser menschliches Werkzeug, das zum einen mit unseren Sinnen, und insoweit mit unserer Erfahrung und zum anderen mit den Kategorien reale Erkenntnisse bewirkt, damit wir als Lebewesen in unserer Welt agieren können. Die Vernunft dagegen, die als Gesamtorgan den Verstand beinhaltet, aber darüber hinaus auch zuständig ist für die Bearbeitung der menschlichen Zweifelsfragen zur Übernatürlichkeit, verlässt bei diesen Tätigkeiten den Bereich der Erfahrung. Die Vernunft verfolgt insoweit die Kette der Bedingungen über den Erfahrungsbereich hinaus, mit anderen Worten, sie gelangt bei ihrer Ursachenbefragung in den Bereich des indefiniten Ursachenregresses und damit in ein Reich, in dem die Vernunft frei schalten und walten kann, ohne an Erfahrungswerte gebunden zu sein.

„Das sind nun die transzendentalen Ideen, welche, sie mögen nun nach dem wahren, aber verborgenen Zwecke der Naturbestimmung unserer Vernunft nicht auf überschwängliche Begriffe, sondern auf unbegrenzte Erweiterung der Erfahrungsgebrauchs angelegt  sein, dennoch durch einen unvermeidlichen Schein dem Verstande einen transzendenten Gebrauch ablocken, der, obzwar trügerisch, dennoch durch keinen Vorsatz , innerhalb der Grenzen der Erfahrung zu bleiben, sondern nur durch wissenschaftliche Belehrung  und mit Mühe in Schranken gebracht werden kann“(Proleg.§45 332/333).  

Wenn also die Vernunft nicht mehr mittels des Verstandes und damit mittels der Erfahrung ihre Arbeit verrichtet, entlockt sie dem Verstand transzendentale Ideen, die somit zu einer unvermeidlichen trügerischen Scheinwelt führen. Diese Scheinwelt kann nur durch die wissenschaftlichen Bemühungen Kants entdeckt und in Schranken gehalten werden.

Im Grunde genommen hat der Philosoph hier, wie schon mehrmals vorher, sein Urteil zu der Frage, ob Metaphysik als Wissenschaft tauglich sein kann, gesprochen und sie erneut als unrealistische Scheinwelt abgetan.   

 

Die zweite Anmerkung Kants befasst sich mit der Nützlichkeit der transzendentalen Ideen.

„Es ist bei dieser Betrachtung im Allgemeinen noch merkwürdig, dass die Vernunftideen nicht etwa so wie die Kategorien uns zum Gebrauche des Verstandes in Ansehung der Erfahrung irgendetwas nutzen, sondern in Ansehung desselben völlig entbehrlich, ja wohl gar den Maximen der Verstandeserkenntnis der Natur entgegen und hinderlich, gleichwohl aber doch in anderer, noch zu bestimmender Absicht notwendig sind.

Ob die Seele eine einfache Substanz sei oder nicht, das kann uns zur Erklärung der Erscheinungen derselben ganz gleichgültig sein; denn wir können den Begriff eines einfachen Wesens durch keine mögliche Erfahrung sinnlich mithin in concreto verständlich machen; und so ist er in Ansehung aller verhofften Einsicht in die Ursache der Erscheinungen gänzlich leer und kann zu keinem Prinzip der Erklärung dessen, was innere oder äußere Erfahrung an die Hand gibt, dienen.

Eben so wenig können und kosmologische Ideen vom Weltanfange oder der Weltewigkeit (a parte ante) dazu nutzen, um irgendeine Begebenheit in der Weltselbst daraus zu erklären.

Endlich müssen wir nach einer richtigen Maxime der Naturphilosophie uns aller Erklärung der Natureinrichtung, die aus dem Willen eines höchsten Wesens gezogen worden, enthalten, weil dieses nicht mehr Naturphilosophie ist, sondern ein Geständnis, dass es damit bei uns zu Ende gehe.

Es haben also diese Ideen eine ganz andere Bestimmung ihres Gebrauchs als jene Kategorien, durch die und die darauf gebauten Grundsätze Erfahrung selbst allererst möglich ward“ (Proleg. § 44 /331)

Ich fasse diese Sequenz kurz dahingehend zusammen, dass die Ideen nicht geeignet sind, unsere Welt, also die durch Erfahrung gesicherte Realität zu erklären oder darzustellen.  Kant ist aber der Überzeugung, dass die von der Vernunft kreierten Ideen nicht überflüssig sind, sondern im menschlichen Gedankengebäude einen Sinn machen.  

„Es muss aber dennoch, zwischen dem, was zur Natur der Vernunft und des Verstands gehört, Einstimmung sein, und jene (also die Vernunft) muss zur Vollkommenheit der letzteren (also des Verstandes) beitragen und kann unmöglich verwirren.

Die Auflösung dieser Frage ist folgende: Die reine Vernunft hat unter ihren Ideen nicht besondere Gegenstände, die über das Feld der Erfahrung hinauslägen, zur Absicht, sondern fordert nur Vollständigkeit des Verstandesgebrauchs im Zusammenhang der Erfahrung. Diese Vollständigkeit kann aber nur eine Vollständigkeit der Prinzipien, aber nicht der Anschauungen und Gegenstände sein. Gleichwohl, um sich jene bestimmt vorzustellen (also die Prinzipien) denkt sie (also die Vernunft) sich solche (Anschauungen und Gegenstände) als die Erkenntnis eines Objekts, dessen Erkenntnis in Ansehung jener Regeln vollständig bestimmt ist, welches Objekt aber nur eine Idee ist,  um die Verstandeserkenntnisse  der Vollständigkeit, die jene Idee bezeichnet, so nahe wie möglich zu bringen.“ (Proleg. §44 311/332).

 

Dass also die Ideen der Vernunft sinnhaltig und damit berechtigt sind, schließt Kant aus der Tatsache, dass die Vernunft zur Vollkommenheit der Verstandesarbeit beitragen muss. Die Ideen sind weiter entwickelte, nicht verhinderbare Gedanken des Verstandes ohne Erfahrungshintergrund, also leere Gedanken. Diesen Gedanken nimmt sich die Vernunft an und bearbeitet sie als ihre Ideen.  Beabsichtigt ist dabei die prinzipielle Vollständigkeit des Verstandesgebrauchs in Anbetracht der Erfahrung. Mit anderen Worten: Die Vernunft will die Ideen genau so behandeln wie der Verstand seine legitimen Gedankengänge handhabt.  Die Vernunft verwendet die leeren Ideen als wären sie Objekte der Erfahrung, obwohl die Erfahrung bei den Ideen keine Rolle spielt. Damit sind zwar die Prinzipien des Denkens gewahrt. Es besteht aber die Gefahr, dass die Ideen als Realität wahrgenommen werden (unvermeidlicher Schein), was in der Metaphysik geschehen und  von Kant beklagt wird.

 

Rundend ist anzumerken, dass Kant an anderer Stelle den Ideen auch einen gewissen Nutzwert zubilligt. Er bezeichnet die Ideen als regulativ. Sie geben dem menschlichen Denken Raum und Ordnung bis an seine Grenzen und formulieren seine Sehnsüchte.