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Immanuel Kant

Mein Weg zum Verständnis – Siebte Folge –

In der siebten Folge meines Weges zum Verständnis Kants werde ich die Ideen des Philosophen vorstellen und mich dabei weiterhin im Bereich der transzendentalen Dialektik aufhalten.

Beginnen wir mit der Idee der menschlichen Seele. Sie wird, wie alle Ideen dialektisch behandelt. Das bedeutet, dass die Seele als Idee einmal in ihrer Struktur und damit als Bestandteil der Metaphysik dargestellt wird und zum anderen von Kant in seiner „Kritik“ unter dem Titel „Von den Paralogismen der reinen Vernunft“ („Kritik S. AA 263 ff) als Scheinwesen entlarvt wird.
Die traditionelle Metaphysik sieht in der Seele eine dem Menschen zugrunde liegende konstitutive Substanz, die immateriell und unsterblich ist. (rationale Seelenlehre).
Kant geht es in seiner Kritik an dieser Seelenlehre nur um den Nachweis, dass dieses Gedankengebäude auf einem Paralogismus fußt, also auf einem auf Denkfehlern beruhenden Fehlschluss. Kant kann und will auch nicht das Gegenteil beweisen, also dass es eine Menschenseele nicht gibt, sondern belässt sie als regulative Idee insoweit als sie der menschlichen Existenz die gedankliche Vollendung schenkt.

Kant beschäftigt sich also kritisch mit der traditionellen, platonischen Seelenlehre und der Seelenmetaphysik des Philosophen Descartes.
In seiner Kritik setzt Kant die Kenntnis dieser Anschauungen voraus. Um seine Anmerkungen besser verstehen zu können, werden diese beiden Ideenkonstrukte nachstehend kurz aufgeführt.
Beiden Seelenlehren ist eigen, dass die Seele unsterblich, immateriell und dem Menschen innewohnend ist. Sie verlässt den Menschen bei seinem Tod.
Platon hat sein Seelenkonzept in seinem großartigen Werk der Tröstung, im Phaidon dargestellt. Hier entwickelt der zum Tod verurteilte bedeutende Menschenlehrer Sokrates kurz vor seiner Hinrichtung durch den Schierlingsbecher im Kreise seiner Schüler das platonische Seelenkonzept. Danach ist die Seele der Träger des menschlichen Lebens. Sie ist auf ewig unzerstörbar, immateriell und befindet sich im menschlichen Körper. Der Tod tritt ein, wenn sie den Körper verlässt. Die Seele schenkt dem Menschen seine Kompetenzen und Erinnerungen, steuert damit das menschliche Verhalten und musss sich deshalb nach ihrer Befreiung aus dem Leib vor einer höheren Instanz dafür verantworten. Danach wandert sie und besiedelt einen neuen Menschenkörper (Seelenwanderung). Die Seelen nehmen unmittelbar erkennend an Platons Ideenwelt teil. Die Ideen sind bei ihm die unkörperlichen, unveränderlichen und ewigen Urbilder der realen Sinnendinge.
Bei Kant dagegen sind Ideen, wie schon oben mehrfach ausgeführt, Erzeugnisse der Vernunft, die nicht durch die Erfahrung validiert sind. Kant hat die Seele als Idee in diesem Sinne qualifiziert und wird versuchen nachzuweisen, dass die von Platon und Descartes und anderen Philosophen propagierte Existenz der Seelen nicht beweisbar ist.

Bei Descartes hat die Erfindung der Seele einen konkreten Ausgangspunkt. Dieser ist seine berühmte Erkenntnis: Cogito, ergo sum“. Er sagt selbst, dass er, Descartes, eine seelische Substanz sei, deren ganze Wesenheit oder Natur nur im Denken bestehe und die, um zu sein, weder eines Ortes bedürfe noch von irgendeinem materiellen Ding abhänge. Es sei demnach dieses Ich, d.h. die Seele, durch die er sei, was er sei. Dabei sei seine Seele von seinem Körper völlig verschieden. Weil im Denken die Existenz des Nichtmateriellen unmittelbar gegeben sei, sei darum an der Existenz der Seele festzuhalten. Ihre Natur bestehe in nichts anderem als im Denken. Im Gegensatz zur platonischen Vorstellung organisiert die Seele nicht den Körper. Seine Bewegung komme nicht von ihr und der Körper sterbe nicht, weil die Seele entweiche, sondern weil unsere körperliche Bewegung aufhöre, höre auch das Bewusstsein auf. (Das von mir in indirekter Rede wiedergegebene Statement des Philosophen Descartes habe ich der „Geschichte der Philosophie“, Band 2 S.108/109, Komet Verlag von Johannes Hirschberger entnommen).

In seiner Auseinandersetzung mit den oben dargestellten Seelenlehren, also der sogenannten rationalen Psychologie begründet Kant den Paralogismus, also den auf Denkfehlern beruhenden Fehlschluss bei dem Beweis der Existenz der Seele wie folgt:
„Der dialektische Schein in der rationalen Psychologie beruht auf der Verwechselung einer Idee der Vernunft (einer reinen Intelligenz) mit dem in allen Stücken unbestimmten Begriffe eines denkenden Wesens überhaupt. Ich denke mich selbst zum Behuf einer möglichen Erfahrung, indem ich noch von der wirklichen Erfahrung abstrahiere, und schließe daraus, dass ich mich meiner Existenz auch außer der Erfahrung und den empirischen Bedingungen derselben bewusst werden könne. Folglich verwechsele ich die mögliche Abstraktion von meiner empirisch bestimmten Existenz mit dem vermeinten Bewusstsein einer abgesondert möglichen Existenz meines denkenden Selbst und glaube das Substantiale in mir als das transzendentale Subjekt zu erkennen, indem ich bloß die Einheit des Bewusstseins, welche allem Bestimmen als der bloßen Form der Erkenntnis zum Grunde liegt, in Gedanken habe“ („Kritik“ AA S.278).
Kants Erkenntnis der Unbeweisbarkeit einer realen Seele beruht auf der Aufdeckung einer Verwechslung.
Dabei stehen sich der denkende Mensch (cogito, ergo sum) und die Vernunftsidee „Seele“ gegenüber. Wenn der Mensch sich selbst denkt mit dem Anspruch , etwas Wirkliches zu erfahren , dabei aber die Erfahrung nicht zu Rate zieht mit dem Ziel, sich seiner bewusst zu werden außerhalb der empirischen Bedingungen seiner Existenz und damit trotzdem seine Seele zu finden, geht er ins Leere und wird Opfer einer Illusion oder Opfer des Dialektischen Scheins. Der Mensch entwickelt (m.E. besser als verwechseln) also die Abstraktion von seiner empirisch erkannten Existenz, die, wie gesagt ins Leere geht, zu dem vermeintlichen Bewusstsein einer abgesonderten möglichen Existenz seines denkenden Selbst, der Seele. Diese ist dann, wie die vorgehende Abstraktion ebenfalls leer und damit nicht beweisbar.
Diese Interpretation wird nachstehend zusammenfassend ergänzt durch weitere Erkenntnisse aus der Sekundärliteratur.
Die rationale Psychologie versucht aus dem im Erfahrungsbereich verwurzelten Selbstbewusstsein unabhängig von aller Erfahrung Erkenntnisse über die Seele zu gewinnen. Aus der Tatsache des Selbstbewusstseins lässt sich nicht, wie Descartes meint, eine inhaltliche Selbsterkenntnis der Seele gewinnen. Die im Selbstbewusstsein ohne Erfahrung gewonnene Selbsterkenntnis gelangt nicht über eine leere Selbstbeziehung hinaus. Sobald die Seele konkretisiert werden soll, bedarf es der Erfahrung, die aber nicht gegeben ist. Das Subjekt, also der Mensch kann sich in seiner Sebstwahrnehmung nicht als Ding an sich erfassen, sondern nur als Erscheinung. Es gibt also keine durch Erfahrung gefestigte Brücke, um die gewünschte ewige Seele zu beweisen.

Nachdem ich versucht habe, die Vorstellungen Kants zur Seelenproblematik mit Hilfe der Sekundarliteratur nachzuvollziehen, möchte ich nachstehend nochmals dieses Thema aus meiner Sicht mit meinem Verständnis und meinen gewonnen Erkenntnissen behandeln.
Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist der allgemeine Menschenwunsch, dass das, was den Menschen ausmacht, über den Tod erhalten bleibt und sich in eine unbegrenzte Zukunft fortsetzt. Unser Verstand aber, der mit der Erfahrung und damit mit der Realität verbunden ist, sagt uns, dass wir mit dem Tod das Ende unserer Existenz erleben. Da wir dieses Faktum nicht hinnehmen wollen, kommt jetzt im kantischen Sinne die Vernunft ins Spiel, die dem Wunschdenken entsprechend und ohne Rücksicht auf Erfahrung die Idee der ewigen Seele als Träger der wesentlichen Elemente des jeweiligen Menschen generiert. Das ist ein tröstlicher Vorgang und soweit er sich im Glaubensbereich aufhält, ist daran nichts zu kritisieren.
Die Probleme tauchen erst auf, wenn man versucht, die Existenz der Seele zu beweisen.
Während Platon nach meinem Dafürhalten die Seele als selbstverständlich voraussetzt, hat Descartes versucht, die Seele mit rationalen Gründen zu beweisen. Dieses Unterfangen will ich jetzt selbst wagen.
Die Seele als Wunschidee des Menschen wird dahin gehend konzipiert, dass sie mit dem menschlichen Körper verbunden ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie feinstofflich oder immateriell geartet ist. Eine weitere Forderung ist ihre Unsterblichkeit.

Wie kann ich diese Wunschvorstellung beweisen?
Der einzige Beweisweg ist die Betrachtung der eigenen Person, weil hier die Seele ihre Wohnung hat. Mein materieller Körper, kann mir, was offensichtlich ist, dabei nicht behilflich sein, da die Seele nicht materiell ist.
Der Einstieg in eine Beweisführung kann nur der immaterielle Bereich des Menschen sein, also sein Denken. Insoweit kann ich dem „cogito, ergo sum“ des Philosophen Descartes nur zustimmen. Im Hinblick auf das hier behandelte Thema kann ich zweifach denken: ich kann mir einmal meinen Körper und seine Wirkweise vorstellen und zum anderen meine zu beweisende Seele. Die erste Betrachtung geschieht im kantischen Sinne durch den Verstand, der mit Hilfe der Sinnenwahrnehmung und der Kategorien mich mit meinem Äußeren und mit meinen Gedanken und Gefühlen beschreibt. Im Gegensatz zum Verstand benutzt die Vernunft bei der Auffindung der Seele nicht die Erfahrung, also die Sinnenerkenntnis, sondern nur ihre nicht nachprüfbaren, abstrakten Vernunftsbegriffe. Dies hat zur Folge, dass über den Weg der Vernunft die von ihr erfundene Seele nicht bewiesen werden kann.
Der Beweisweg kann also nur über das verstandesmäßige Denken erfolgen. Da diese Vorstellung mit Hilfe der Sinne zustande kommt, also erfahrungsbedingt ist, ist das Ergebnis insoweit relativ, als es lediglich den Kompetenzen der jeweiligen Sinne entspricht. Das wirkliche Ich, oder wie Kant sagt, das Ding an sich, ist damit nicht definiert. Somit komme ich über den Erfahrungsbereich nicht hinaus und damit auch nicht zu der unstreitig außerhalb jeder Erfahrung angesiedelten Seele.
Wenn ich dieses Ich nunmehr von seinen Sinneneigenschaften befreie, um es mit der erfahrungsfreien Seele kompatibel zu machen, erhalte ich eine leere Gedankenhülse. Wenn ich dann diese, wie dies Kant meint, mit der Seele verwechsele, oder wie ich gesagt habe, zur Seele weiterentwickle, erhalte ich kein lebendes Seelenwesen, sondern gleichsam einen leblosen Schatten. Dass dieser Schatten in der traditionellen Metaphysik als lebendige Seele gedeutet und dogmatisiert wurde, wird von Kant zu Recht kritisiert. Trotzdem bin ich mit Kant der Meinung, dass man auch das Gegenteil, die Nichtexistenz der Seele nicht beweisen kann.
Ich bin, rundend zu diesem Thema gesagt, davon glaubensmäßig überzeugt, dass jedes Lebewesen eine lebendige Seele hat.


Die zweite große Idee, die Kant der Vernunft zuschreibt, ist die Welt als Ganzes, der Kosmos
. „Ich nenne diese Idee deswegen kosmologisch, weil sie ihr Objekt jederzeit nur in der Sinnenwelt nimmt, auch keine andere als die, deren Gegenstand ein Objekt der Sinne ist, braucht, mithin einheimisch und nicht transzendent, folglich bis dahin noch keine Idee ist. ……………Demungeachtet erweitert doch die kosmologische Idee die Verknüpfung des Bedingten mit seiner Bedingung (diese mag mathematisch oder dynamisch sein) so sehr, dass Erfahrung ihr niemals gleichkommen kann, und ist also in Ansehung dieses Punkts immer eine Idee, deren Gegenstand niemals adäquat in irgendeiner Erfahrung gegeben werden kann“. Proleg. § 50 S.101).
Kant macht deutlich, was man, wenn man seine Doktrin verinnerlicht hat, auch sofort erkennt: der Kosmos, soweit er unseren Sinnen zugänglich ist, ist nicht transzendent und damit keine Idee. Insoweit ist er das Betätigungsfeld des Verstandes.
Der Kosmos aber enthält Gegebenheiten, die den Sinnen, also der Erfahrung und damit dem Verstand nicht zugänglich sind. Kant nennt diesen Bereich die Verknüpfung des Bedingten mit der Bedingung. Damit meint er das Faktum der Kausalität, deren der Erfahrung nicht unterliegenden Auswirkungen sich dem Verstand nicht erschließen und die damit als Idee in der Vernunft beheimatet sind.
Aus dem der Erfahrung nicht unterliegenden Ideen, die dialektisch sind und deshalb in ihrem Satz und in ihrem Gegensatz vorgestellt werde. Nachfolgend werde diese vier Antinomien zitiert:

„Erster Satz: Die Welt hat der Zeit und dem Raum nach einem Anfang.
Gegensatz: Die Welt ist der Zeit und dem Raum nach unendlich.
Zweiter Satz: Alles in der Welt besteht aus Einfachem.
Gegensatz: Es ist nichts Einfaches, sondern alles ist zusammengesetzt.
Dritter Satz: Es gibt in der Welt Ursachen durch Freiheit.
Gegensatz: Es ist keine Freiheit, sondern alles ist Natur.
Vierter Satz: In der Reihe der Weltursachen ist irgendein notwendiges Wesen.
Gegensatz: Es ist in ihr nichts notwendig, sondern in dieser Reihe ist alles zufällig“ (Proleg. § 51 s.102)

An dieser Stelle möchte ich zum besseren Verständnis der sehr komplexen und sehr ausführlichen kantschen Gedankenführung darauf hinweisen, dass die vorgenannten Sätze synthetische Urteile a priori sind , deren Dogmatisierung das Wesen der traditionellen und von Kant kritisierten Metaphysik ausmachen. Kant hatte gefragt, ob diese Urteile beweisbar sind und ob dadurch die Metaphysik eine Wissenschaft sein könne.
Aufgrund der bisher gewonnen Erkenntnisse kann ich konstatieren, dass weder die Thesen noch die Antithesen bewiesen werden können, weil sie alle ein Element zur Beurteilung stellen, das nicht erfahrungsbedingt ist.
Kant stellt interessanterweise hier aber nicht auf die Beweisbarkeit ab, sondern auf die Frage, ob die Thesen, bzw. die Antithesen richtig oder falsch seien:
„Man kann in der Metaphysik auf mancherlei Weise herumpfuschen, ohne eben zu besorgen, dass man auf Unwahrheiten werde betreten werden. Denn wenn man sich nur nicht selbst widerspricht, welches in synthetischen (also in synthetischen Urteilen a priori), also gänzlich erdichteten Sätzen gar möglich ist: so können wir in allen solchen Fällen , wo die Begriffe, die wir verknüpfen, bloße Ideen sind, die gar nicht (ihrem ganzen Inhalt nach) in der Erfahrung gegeben werden können, niemals durch Erfahrung widerlegen.
Denn wie wollten wir es durch Erfahrung ausmachen: ob die Welt von Ewigkeit her sei oder einen Anfang habe? Ob die Materie ins Unendliche teilbar sei oder aus einfachen Teilen bestehe. Dergleichen Begriffe lassen sich in keiner, auch der größtmöglichen Erfahrung nicht geben, mithin die Unrichtigkeit des behauptenden oder vereinenden Satzes durch diesen Probierstein nicht entdecken“ (Proleg. § 52b s.103).

Wenn Kant vorträgt, die Thesen und Antithesen der beiden ersten Ideensätze seien falsch, so ist dies m.E. aus dem heutigem Sprachverständnis nicht verständlich. Wenn man von einer Sache oder einem Vorgang behauptet, sie oder er sei falsch oder richtig, muss man die Wahrheit über diese Gegebenheiten kennen, um die notwendige Grundlage für diese Beurteilung in der Hand zu haben. Die Wahrheit zu erlangen heißt zu prüfen, ob die beiden ersten Ideensätze beweisbar sind. Also bedeutet das kantsche „falsch“ zu treffenderweise „beweisbar“. Also prüft Kant nachstehend die Beweisbarkeit der beiden Ideen. Da wir bisher schon erfahren haben, dass Ideen aus Mangel an Erfahrung keinen Bezug zur Realität haben, so dürfte das Ergebnis eigentlich schon vorliegen. Kant aber will den Gedankengang, der dorthin führt, noch einmal ausführlich vorstellen
Das Grundlegende erläutere ich anhand von § 52c der Prolegomena.
Wenn man von Gegenständen in Zeit und Raum spricht, also hier vom Kosmos, so redet man nicht von den Dingen an sich selbst (also von dem Ding an sich, also z.B. wie der Kosmos wirklich ist), sondern nur von des Kosmos Wesen in der Art und Weise, wie die Sinne in ihrer Interpretation dem Verstand das Bild des Kosmos übermitteln. Diesen Vorgang bezeichnet Kant, wie schon mehrfach ausgeführt, als Erfahrung. Und unseren Sinnen sind die Begriffe von Raum und Zeit angeboren, ohne, dass der Mensch weiß, ob existiert. Was nun der Mensch in Raum und Zeit denkt, also hier den Kosmos, von dem kann er nicht sagen, dass die Welt wirklich da ist. Würde er dies behaupten, so würde er sich selbst widersprechen, weil Raum und Zeit samt den Erscheinungen in ihnen nichts an sich selbst und außer seinen Vorstellungen Existierendes, sondern selbst nur Vorstellungsarten sind. Der Kosmos ist uns also nur in der oben genannten Erfahrung und nicht in seiner Wirklichkeit zugänglich. Die Gegenstände der Sinne existieren also nur in der Erfahrung. Will man diesen Gegenständen, also hier dem Kosmos eine eigene wirkliche Existenz geben, heißt das nach Kant sich vorzustellen, Erfahrung sei auch ohne Erfahrung möglich.

Dazu Kant zusammenfassend: „Wenn ich nun nach der Weltgröße, dem Raum und der Zeit nach, frage, so ist es für alle meine Begriffe ebenso unmöglich zu sagen, sie sei unendlich, als sie sei endlich. Denn keines von beiden kann in der Erfahrung enthalten sein, weil weder von einem unendlichen Raume oder unendlich verflossener Zeit noch der Begrenzung der Welt durch einen leeren Raum oder eine vorhergehende leere Zeit Erfahrung möglich ist.; das sind nur Ideen. ……..
Ebendies gilt von der zweiten Antinomie, die die Teilung der Erscheinungen betrifft. Denn diese sind bloße Vorstellungen, und die Teile existieren bloß in der Vorstellung derselben (Proleg. § 52c, S.105/106).

Meine Zusammenfassung zu den Antinomien der beiden ersten Ideensätze ist die folgende:
Es geht nicht darum ob diese Sätze falsch oder richtig sind, sondern darum, ob man sie beweisen kann.
Dass die Menschen sich selbst und die sie umgebende Welt, also auch das Universum, nicht in deren bzw. in dessen Wirklichkeit erkennen können, hängt damit zusammen, dass dem Verstand ein von den Sinnen bereits durch die angeborenen Anschauungen von Zeit und Raum interpretiertes Bild zur Erkenntnis geliefert wird. Dieses Bild entspricht der lediglich dem Menschen zugeordnete Erkenntnisfähigkeit und nicht den objektiven Gegebenheiten. Schon aus dieser Unkenntnis müsste man die Unbeweisbarkeit der Ideen verneinen Der Mensch darf aber sich und seine Umgebung verbindlich beurteilen, soweit seine Sinne die Gegebenheiten der Welt erfassen können. Das ist, wie gesagt, die Erfahrung. Diese Erfahrung liegt bei Ideen, also auch bei den beiden eben betrachteten Ideensätzen nicht vor, so dass ein Beweis nicht geführt werden kann.

Betrachten wir jetzt die Ideensätze drei und vier. Sie stehen dichter an dem Thema meines Essays, nämlich der Betrachtung Gottes, weil in Satz drei die Ursachenproblematik behandelt und in Satz vier Gott direkt angesprochen wird.

Der Erscheinung Gottes kommt man am natürlichsten näher, wenn man Gott als die erste Ursache des Kosmos ansieht, die hinwiederum selbst keine Ursache hat, also als den in dieser Schrift anfangs dargestellten unbewegten Beweger. Im diesem dritten Ideensatz besteht die Antinomie darin, dass einmal behauptet wird, der Ursachenfluss sei naturgesetzlich unendlich und zum anderen, es bestehe die Freiheit, dem Ursachenverlauf einen Anfang geben.
Der infinite Ursachenregress ist m.E. keine Vernunftsidee, sondern als eine Kategorie des Verstandes ein Teil des verstandesmäßigen Denkprozesses. Dabei kann der Verstand beim Beurteilen des Ursachenverlaufs aus der Erfahrung keinen Ursachenanfang festmachen. Kant selbst schätzt diesen Vorgang als naturgesetzlich ein.
Dagegen ist der Gedanke einer Erstursache eine Vernunftsidee, weil keine Erfahrung dafür zu erkennen ist, dass der unendliche Ursachenregress jemals angehalten worden sein könnte oder dass es Kompetenzen gebe, eine Ursache ohne Vorursache spontan beginnen zu lassen. Auch die moderne und heute noch herrschende Theorie vom Urknall ändert nichts an dieser Sicht, weil naturgesetzlich die Ursache des Urknalls wiederum eine Ursache haben muss und so fort.
Während der infinite Ursachenregress als die Thesis in der Erfahrung verankert und damit beweisbar ist, ist dies bei der Antithesis, dem freiwilligen Ursachenanfang nicht der Fall, weil es hier, wie bereits ausgeführt, an der Erfahrung fehlt. Trotzdem hält Kant die beiden Thesen für vereinbar, oder, wie er sagt, für wahr.
Ich frage mich, ob es wichtig ist, die verzwickten Gedankengänge Kants zum Problem des freiwilligen Ursachenanfangs darzustellen. Ich bejahe dies eindeutig, weil hier die Vernunft einen gangbaren Weg gefunden hat, im Rahmen einer Idee die Existenz Gottes zwar nicht zu beweisen, jedoch vernünftig glaubbar machen zu können.

Nachstehend präsentiere ich Kants Ausführungen zur Thesis, dem infiniten, naturbedingten Ursachenregress und dann seine Überlegungen zu Antithesis, dem freiwilligen Ursachenanfang und schließlich seine Betrachtung über die Vereinbarkeit beider Thesen.
„In der Erscheinung ist jede Wirkung eine Begebenheit oder etwas, was in der Zeit geschieht.; vor ihr muss nach dem allgemeinen Naturgesetz eine Bestimmung der Kausalität ihrer Ursache (ein Zustand derselben) vorhergehen, worauf sie nach einem beständigen Gesetz folgt. Aber diese Bestimmung der Ursache zur Kausalität muss auch etwas sein, was sich ereignet oder geschieht; die Ursache muss angefangen haben zu handeln; denn sonst ließe sich zwischen ihr und der Wirkung keine Zeitfolge denken. Die Wirkung wäre immer gewesen so wie die Kausalität der Ursache. Also muss unter Erscheinungen die Bestimmung der Ursache zum Wirken eine Begebenheit sein, die wiederum ihre Ursache haben muss usw., und folglich Naturnotwendigkeit die Bedingung sein, nach welcher die wirkenden Ursachen bestimmt werden“ (Proleg. § 53 S.!07/108).
Jede Wirkung in unserer mit unserem Verstand wahrgenommenen Welt ist eine Begebenheit, der zeitlich
vorgehend eine handelnde Ursache zugrunde liegt. Die diese Wirkung verursachende Ursache ist ihrerseits Wirkung einer weiteren vorhergehenden Ursache. Bei Kant folgt jetzt das „usw.“. Das bedeutet: Dieser Prozess, setzt sich unaufhaltbar in das Unendliche fort und ist als Naturnotwendigkeit zu bewerten.

Die Antithesis, die Idee von freiheitlichen Ursachenanfang beschreibt Kant wie folgt:
„Soll dagegen Freiheit eine Eigenschaft gewisser Ursachen der Erscheinungen sein, so muss sie , respektive auf die letzteren als Begebenheit, ein Vermögen sein, sie von selbst (sponte) anzufangen, d.i. ohne dass die Kausalität der Ursache selbst anfangen dürfte und daher keines anderen, ihren Anfang bestimmenden Grundes benötigt wäre. Alsdann aber müsste die Ursache ihrer Kausalität nach nicht unter Zeitbestimmungen ihres Zustandes, d.i. gar nicht Erscheinung sein, d.i. sie müsste als ein Ding an sich selbst, die Wirkung aber allein als Erscheinungen angenommen werden“ (Proleg. § 53S.108).
Hier verlässt die Vernunft die vom Verstand erkannte Gesetzmäßigkeit des Ursachenverlaufs und stattet „gewisse Ursachen“ mit dem Vermögen aus, von sich selbst aus, „sponte“ den Anfang ihres Ursachenverlaufs zu setzen. Diese anfängliche freie Ursache entsteht also nicht aus dem Zeitverlauf und damit nicht in der Sinnenwelt, sondern ist ein nicht erkennbares Ding an sich, das aber seine Wirkung in der wahrnehmbaren Welt erzeugt.
Wenn man davon ausgeht, dass im bestehenden Kosmos alle Erscheinungen in einem permanenten
Ursachenverlauf stehen, kann man im Erfahrungsmodus nirgends einen Ursachenanfang entdecken. Wenn die Vernunft dagegenhält und einen Ursachenanfang konstruiert, kommt sie ihrer Aufgabe nach, den nicht unterdrückbaren Fragen des Verstandes nach dem, was die Welt zusammenhält, eine Antwort zu geben.
Ihre nicht beweisbare Ideenantwort kann als Aliud durchaus mit dem gesetzmäßigen Ursachenwesen verglichen werden und ist insoweit als Antithese relativierbar.

Der vierte Satz, also die vierte Antinomie, die einmal im Weltgeschehen von einem notwendigen und verursachenden Wesen ausgeht und zum anderen ein solches Wesen leugnet und die Entwicklung dem Zufall überlässt, kann in der Sache nicht als Widerspruch gewertet werden, weil man die Wahrheit weder der These noch der Antithese beweisen kann. Der vierte Satz in seiner Gegensätzlichkeit ist ein reines Ideenprodukt der Vernunft.


Betrachten wir abschließend den dritten großen Ideenkomplex der Vernunft, nämlich die theologische Idee.
Das Gottesthema war bereits im zweiten Ideenkomplex in den Sätzen drei mittelbar und vier unmittelbar angesprochen. Jetzt wird es aus systematischen Gründen noch einmal in einer Kurzfassung von Kant in § 55 der Prolegomena behandelt:
„Die dritte transzendentale Idee, …. …., ist das Ideal der reinen Vernunft. Da die Vernunft hier nicht, wie bei der psychologischen und kosmologischen Idee, von der Erfahrung anhebt und durch Steigerung der Gründe womöglich zur absoluten Vollständigkeit ihrer Reihe zu trachten verleitet wird, sondern gänzlich abbricht und aus bloßen Begriffen von dem, was die absolute Vollständigkeit eines Dinges überhaupt ausmachen würde….: so ist hier die bloße Voraussetzung eines Wesens , welches, obzwar nicht in der Erfahrungsreihe, dennoch zum Behuf der Erfahrung um Begreiflichkeit der Verknüpfung, Ordnung und Einheit der letzteren Willen gedacht wird…..von dem Verstandesbegriffe leichter, wie in den vorigen Fällen zu unterscheiden. Daher konnte hier der dialektische Schein, welcher daraus entspringt, dass wir die subjektiven Bedingungen unseres Denkens für objektive Bedingungen der Sachen selbst und eine notwendige Hypothese zur Befriedigung unserer Vernunft für ein Dogma halten, leicht vor Augen gestellt werde“ (Proleg. §55 S.113).

Bei der ersten Vernunftsidee, der psychologischen, war Ausgangspunkt für die Seelenkunde der Vernunft der der ‚Erfahrung unterliegende Mensch , bei der zweiten Vernunftsidee, der kosmologischen , stellte der erlebbare Kosmos den Bezug zu den erfahrungsmäßig nicht zugänglichen Gegebenheiten des Weltalls her. Kant macht zur dritten Vernunftsidee deutlich, dass bei deren Erschaffung die Erfahrung überhaupt keine Rolle spielt. Die Vernunft bildet aus „bloßen Begriffen“ also nur aus ihrem eigenen Vorstellungsrepertoire ohne jeglichen Bezug zu der von Menschen erlebbaren Wirklichkeit den Begriff Gottes. Damit liegt auch insbesondere hier keine Beweisbarkeit für die Existenz Gottes vor. Trotzdem dogmatisiert die traditionelle Metaphysik dieses Phantasieprodukt der Vernunft als die anzuerkennende Wahrheit

So beende ich die siebte Folge meines Weges zum Verständnis Kants.
In der sich anschließenden achten und letzten Serie meiner Betrachtung werde ich die Arten der Gottesbeweise präsentieren und diese der Kritik Kants aussetzen und auch meine Überlegungen hierzu vorstellen.