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Immanuel Kant

Mein Weg zum Verständnis  – Fünfter Teil – 

Dieser Schematismus ist ein wesentlicher Bestandteil des zweiten Buches der transzendentalen Logik, der Analytik der Grundsätze. Er wird nachstehend in der fünften Folge meiner Betrachtung erörtert.

Das erste Hauptstück der Analytik der Grundsätze lautet: „Von dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe“.  In dem nachfolgenden, etwas ausführlichem Zitat zum Beginn dieses Hauptstücks beschreibt Kant recht verständlich, was er unter Schematismus versteht.

„In allen Subsumtionen eines Gegenstandes unter einen Begriff muss die Vorstellung des ersteren mit der Letzteren gleichartig sein, d.h. der Begriff muss dasjenige enthalten, was in dem darunter zu subsumierendem Gegenstand vorgestellt wird, denn das bedeutet eben der Ausdruck: ein Gegenstand sei unter einem Begriffe enthalten“ (a.a.O. S. AA 134).  

Kant macht das an einem Beispiel klar: Er präsentiert uns einen Teller und den reinen Verstandesbegriff des Kreises. In der sinnlichen Anschauung des Tellers ist die Vorstellung des Kreises enthalten. Wenn jetzt die sinnliche Erscheinung des Tellers (also nicht der Teller als solcher, sondern nur die Interpretation des Tellers an sich durch die  Sinne) im Verstand (also in unserem Gehirn) eintrifft, stößt sie auf den reinen Verstandesbegriff des Kreises, verbindet sich mit ihm,  weil gleichartig (Subsumtion)  und kann sich dadurch zu einer Erkenntnis entwickeln und damit Grundlage eines Urteils werden.

Nun sind aber reine Verstandesbegriffe in Vergleichung mit empirischen (ja überhaupt sinnlichen) Anschauungen ganz ungleichartig und können niemals in irgendeiner Anschauung angetroffen werden. Wie ist nun die Subsumtion der letzteren unter die erste, mithin die Anwendung der Kategorie auf Erscheinungen möglich, da doch niemand sagen wird: diese, z.B. die Kausalität, könne auch durch die Sinne angeschaut werden und sei in der Erscheinung enthalten. Diese so natürliche und erhebliche Frage ist nun eigentlich die Ursache, welche eine transzendentale Doktrin der Urteilkraft notwendig macht, um nämlich die Möglichkeit zu zeigen, wie reine Verstandesbegriffe auf Erscheinungen überhaupt angewandt werden können“ (a.a.O. S. AA 135)

Wenn die Vorstellungen über den zu bedenkenden empirischen Gegenstand und die Vorstellungen im entsprechenden reinen Verstandesbegriff gleichartig sind, ist damit die Subsumtion noch nicht erfolgreich beendet. Kant macht nämlich im vorhergehenden Zitat deutlich, dass der zu bedenkende empirische gegenstand und der reine Verstandesbegiff (die Kategorie) in ihrer Wesensart nicht gleichartig sind und dass damit ein Mittel gefunden werden muss, um diese beiden Erkenntniselemente in ihrem Wesen kompatibel zu machen. Dieses Mittel ist das von Kant sogenannte „Schema“. Mit dieser Vorgangsweise kann die Subsumtion abgeschlossen und die Erkenntnis gewonnen werden.

„Nun ist klar, dass es ein Drittes geben müsse, was einerseits mit der Kategorie, andererseits mit der Erscheinung in Gleichartigkeit stehen muss und die Anwendung der ersteren auf die letztere möglich macht. Diese vermittelnde Vorstellung muss rein (ohne alles Empirische) und doch intellektuell, andererseits sinnlich sein. Eine solche ist das transzendentale Schema“ (a.a.O. S. AA 135).

Wie das Schema gefunden wird und was es seinem Wesen nach ist, wird von nachstehend wie folgt beschrieben:

„Der Verstandesbegriff enthält reine synthetische Einheit des Mannigfaltigen überhaupt. Die Zeit als die formale Bedingung des Mannigfaltigen des inneren Sinnes, mithin der Verknüpfung aller Vorstellungen enthält ein Mannigfaltiges a priori in der reinen Anschauung. Nun ist eine transzendentale Zeitbestimmung mit der Kategorie (die die Einheit derselben ausmacht), sofern gleichartig, als sie allgemein ist und auf einer Regel a priori beruht. Sie ist aber andererseits mit der Erscheinung sofern gleichartig, als die Zeit in jeder empirischen Vorstellung des Mannigfaltigen enthalten ist. Daher wird eine Anwendung der Kategorie auf Erscheinungen möglich sein vermittelst der transzendentalen Zeitbestimmung, welche als das Schema der Verstandesbegriffe die Subsumtion der letzteren unter due erste vermittelt“ (a.a.O. S.AA 135).  

Das gesuchte Schema also ist die Zeit.

In der transzendentalen Ästhetik hatte Kant dargelegt, dass die Zeit kein empirischer Begriff ist, sondern eine eingeborene Vorstellung, die, wie er jetzt im vorstehenden Zitat ausführt, eine reine Anschauung ist, die die Einheit der Kategorien ausmacht. Andererseits findet Zeit in der Realität statt als Ding an sich und ist Anteil an den sinnlich gedeuteten 

Erscheinungen, die im Verstand mittels der Kategorien zu Erkenntnissen verarbeitet werden.

Die Zeit ist also in den beiden Elementen, die für die Erkenntnis wichtig sind, enthalten.

 Ich will versuchen dies an einem Beispiel zu verdeutlichen.

 Es donnert. Meine Sinne nehmen dieses Naturphänomen zur Kenntnis und interpretieren es gemäß der uns Menschen zugeordneten Betrachtungsweise. In dem hier gewählten Beispiel wird der Zeitanteil der gesamten Erscheinung besonders deutlich, weil das Donnern Vorgang von einer gewissen Zeitdauer ist. Die sinnlich erfasste Donnerescheinung gelangt nun in unser Gehirn, stößt dort auf den Verstand und wird im Hinblick auf die anstehende Erkenntnisarbeit des Verstandes mit den Kategorien konfrontiert. Die der Erscheinung entsprechenden Kategorien stehen zur Verstandesarbeit bereit, haben aber eine andere Struktur als die eintreffende Erscheinung, sodass sie nicht zusammenwirken können.  Die Komptabilität der beiden wird durch erreicht, dass das Zeitelement der Erscheinung und die in der jeweiligen Kategorie befindliche reine Zeitbestimmung sich gegenseitig erkennen und die Erkenntnis herstellende Vereinigung der Erscheinung mit den passenden Kategorien herbeiführen. Das ist Kants Schematismus.

Bis hierhin haben wir die Arbeit des Verstandes kennengelernt, soweit es sich um die Verarbeitung von sinnlichen Erscheinungen, auch empirische Anschauungen genannt, handelt.

Kant beendet die transzendentale Analytik  mit einer Untersuchung des menschlichen Verstandes, wenn dieser es nicht mehr mit empirischen Anschauungen zu tun hat, sondern mit reinen Gedankeninputs, also mit Vorstellungen , die ausschließlich vom Verstand ohne Bezug zur sinnlichen Welt  aufgestellt sind und auf dem Weg   zum Verständnis mit den Kategorien konfrontiert werden.

Wir befinden uns damit im dritten und letzten Hauptstück der transzendentalen Analytik, „Von dem Grunde der Untersuchung aller Gegenständeüberhaupt in Phänomena     und Noumena“.

Einleitend zitiere ich nochmals die berühmte Formel Kants, „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriff sind blind“ (a.a.O. AA S.75.

Alle bisherigen Ausführungen der Transzendentalen Analytik dienten dem Ziel darzulegen, dass dieser Satz zutrifft. Im Anschluss daran untersucht Kant abschließend, was geschieht, wenn der Verstand Urteile denkt, ohne auf die Erscheinungen, also auf die Phänomena, mithin auf die Erfahrung zurückzugreifen.

Kant leitet das letzte Hauptstück der transzendentalen Analytik mit einem poetischen Bild ein, das zeigt, dass Kant nicht nur höchst anspruchsvoll und abstrakt formulieren kann, sondern dass er auch in der Lage ist, seine Philosophie literarisch – und ich glaube – mit einem gewissen Augenzwinkern vorzustellen. 

„Wir haben jetzt das Land des reinen Verstands nicht allein durchreist und jeden Teil davon sorgfältig in Augenschein genommen, sondern es durchmessen und jedem Ding auf demselben seine Stelle bestimmt. Dieses Land aber ist eine Insel und durch die Natur selbst in unveränderliche Grenzen eingeschlossen. Es ist das Land der Wahrheit (ein reizender Name), umgeben von einem weiten und stürmischen Ozeane, dem eigentlichen Sitze des Scheins, wo manche Nebelbank  und manches schnell wegschmelzendes Eis  neue Länder lügt und indem es den auf Entdeckungen herumschweifenden Seefahrer unaufhörlich  mit leeren Hoffnungen täuscht, ihn in Abenteuer verflechtet, von denen er niemals ablassen und sie doch  auch niemals zu Ende bringen kann“ (a.a.O. S.AA203).

Was Kant an dieser Stelle gewissermaßen poetisch darstellt, hat er in den einführenden Betrachtungen zur „Kritik“ ernster und unbedingter konstatiert: „Alle Metaphysiker sind demnach von ihren Geschäften feierlich und gesetzmäßig so lange suspendiert, bis sie die Frage: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?  genugtuend beantwortet haben.

Denn in dieser Beantwortung allein besteht das Kreditiv, welches sie vorzeigen müssten, wenn sie im Ramen der reinen Vernunft etwas bei uns anzubringen haben; in Ermanglung desselben aber können sie nichts anderes erwarten, als von den vernünftigen, die sooft hintergangen worden, ohne alle weiteren Untersuchungen ihres Anbringens abgewiesen  zu werden“.

Ich habe dieses Zitat, das ich bereits am Ende des zweiten Teils  meiner Betrachtung  vorgestellt hatte, nochmals aufgeführt, weil ich nach den langen und sehr schwierigen Ausführungen Kants in der transzendentalen Analytik über die Arbeit und die Funktionsweise  des Verstandes den Weg zurückfinden will zum eigentlichem Anliegen des Philosophen. Dies ist, wie in den Einführungen bekannt gegeben, Kants Frage, ob synthetische Urteile a priori möglich sind, also in welchem Umfang solche Urteile der Wahrheit und damit der Wirklichkeit entsprechen und ob demgemäß die Metaphysik eine Wissenschaft sein kann oder doch ein Mittel der Glaubensbestärkung und der Seelentröstung.

Ein synthetisches Urteil a priori ist ein Satz, bei dem aus einem den Sinnen nicht zugänglichen Subjekt eine der Sinnenwelt verbindliche neue Erkenntnis gewonnen wird. Dies könnte z.B. der Fall sein bei folgendem Satz:  Gott hat den Kosmos erschaffen.

In der obigen poetischen Betrachtung schildert Kant einmal die in der transzendentalen Analytik erkundete Tätigkeitsstruktur des Verstandes, also die Verarbeitung von Sinneseindrücken durch die Kategorien, in der Form einer Insel  mit unveränderlichen Grenzen als Land der  Wahrheit. 

Zum anderen beschreibt er einen diese feste Insel herum stürmischen Ozean, Nebelbänke und schmelzende Eiessinseln, also Bilder des Scheins, der Unwirklichkeit, des Falschen. Das ist die Welt der Metaphysik, des synthetischen Urteils a priori. Im Letzten Hauptstück der transzendentalen Analytik,  nachdem Kant „das Land des reinen Verstandes durchreist hat“, wendet er sich jetzt der Hautfrage seiner Kritik zu, nämlich ob der Verstand in der Lage ist , ohne sinnliche Wahrnehmung neue Erkenntnisse zu generieren.

„Dass also der Verstand von allen seinen Grundsätzen a priori, ja von allen seinen Begriffen keinen anderen als empirischen, niemals aber einen transzendentalen machen könne, ist ein Satz, der, wenn er mit Überzeugung erkannt werden kann, in wichtigen Folgen hinaussieht“ (a.a.O. AA S. 204).

Die wichtigen Folgen, die Kant hier anspricht, erleben wir im Reich der Metaphysik, in der synthetische Sätze a priori die Aussagen bestimmen.  Und dass der Verstand nur mit Rückgriff auf die sinnliche Welt und die daraus gewonnene Erfahrung, also nur mit synthetischen Sätzen a posteriori reale Erkenntnisse gewinnen kann, ist zwar schon der Wissenstand Kants, muss aber noch zur Überzeugung der Allgemeinheit gebracht werden.

„Der transzendentale Gebrauch eines Begriffes in irgendeinem Grundsatze ist dieser: dass er auf Dinge überhaupt und an sich selbst, der empirische aber, wenn er bloß auf Erscheinungen, d.i. Gegenstände einer möglichen Erfahrung bezogen wird“ (a.a.O. AA S 204).

Hier sagt uns Kant, dass der transzendentale Gebrauch eines Begriffs bedeutet, einen analytischen Satz zu formulieren nach der Art: „der Kreis ist rund“, also einen Satz, der keine neuen Erkenntnisse mit sich bringt. Vielmehr ist Aussage des Prädikats des Satzes schon in dessen Subjekt enthalten. Der andere Gebrauch liegt vor, wenn ein synthetischer Satz a posteriori vorgetragen wird nach der Art: „Der Hut ist rot“. Somit wird etwas Neues mitgeteilt und die Erfahrung wird einbezogen.

Die vorstehenden Ausführungen Kants bedeuten für den verständnisvollen Leser der „Kritik“ eine wiederholende Bezugnahme auf die Darstellung der Arbeit des Verstandes im Bereich der Erfahrung, (die Insel mit festen Grenzen). Sie dienen der Vorbereitung der Überzeugungsarbeit Kant, dass es um diese Insel einen wilden Ozean gibt, der allegorisch die Metaphysik darstellt. Ihr will Kant jetzt ausdrücklichen nachweisen, dass sie mit ihren synthetischen Sätzen a priori keine Wahrheiten hervorbringt, sondern nur Kopfgeburten produzieren kann.

Nachdem ich die wesentlichen Erkenntnisse der ersten Abteilung der transzendentalen Logik, nämlich der transzendentalen Analytik dargestellt habe, steht jetzt die Betrachtung der zweiten Abteilung der transzendentalen Logik an, nämlich der transzendentalen Dialektik.

Hier geht es um folgendes:  in der ersten Abteilung sind wir von Kant dahingehend instruiert worden, dass jede Erkenntnis aus Sinnlichkeit und den Verstandeskategorien besteht. Berühmt ist sein Merksatz: „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind“.

Aber die Menschen denken nicht nur Urteile, die auf der Erfahrung und damit auf unserer Sinnenwelt beruhen (siehe oben: feste „begrenzte Insel“), sondern spekulieren auch, denken also Gedanken, die keinen Bezug zu unserer Sinnenwelt haben, sie denken also synthetische Sätze a priori wie: Gott ist der Schöpfer des Universums.(siehe oben: „wilder Ocean“) Zu prüfen, ob solche Urteile wahr sind, ob also die Metaphysik eine verbindliche Wissenschaft sein kann, ob  ist die wichtigste Aufgabe der Kant’schen „Kritik“.