Mein Weg zum Verständnis – Vierter Teil –
In der vierten Folge meines Weges zum Verständnis Kants werde ich also die Transzendentale Analytik in ihrem ersten Buch, der Analytik der Begriffe abermals bearbeiten. Das zweite Buch, die Analytik der Grundsätze wird Gegenstand der fünften Folge sein.
Bei beiden Büchern geht es um die Arbeit des Verstandes.
Bei der Analytik der Begriffe beschreibt Kant die Arbeit des Verstandes als die Herstellung von Urteilen und erarbeitet eine vollständige Übersicht über die möglichen Arten von Urteilen, aus der er hinwiederum spiegelbildlich eine abschließende Zusammenstellung der reinen Verstandesbegriffen, den Kategorien ableitet. Dass diese Kategorien in der Lage sind, Erfahrungsurteile zu produzieren, verdeutlicht Kant Im Kapitel „Transzendentale Deduktion der Verstandesbegriffe.
Im zweiten Buch, der Analytik der Grundsätze, stellt Kant dar, wie der Verstand mit Hilfe der Kategorien die eintreffenden Anschauungen zu Urteilen, also zu Erkenntnissen verarbeitet (Schematismus) und gegebenenfalls wie bei einem höheren Urteilsanspruch die Vernunft eingeschaltet wird.
Beginnen wir mit der Analytik der Begriffe:
„Ich verstehe unter der Analytik der Begriffe … die noch wenig versuchte Zergliederung des Verstandesvermögens selbst, um die Möglichkeit der Begriffe a priori dadurch zu erforschen, dass wir sie im Verstande allein, als ihrem Geburtsort, aufsuchen und dessen reinen Gebrauch überhaupt analysieren: denn dieses das eigentümliche Geschäft einer Transzendental – Philosophie“ (a.a.O. S.AA84).
Kant will uns also zeigen, wie der Verstand funktioniert. Er hat erkannt, dass das entscheidende Element der Verstandesarbeit die reinen Verstandesbegriffe sind, die ihren „Geburtsort“ allein im Verstand haben. Diese reinen Begriffe sind dafür verantwortlich, dass der Verstand Erkenntnisse bewirken kann. Kant führt hierzu weiter aus:
„Also ist die Erkenntnis eines jeden, wenigstens des menschlichen Verstandes eine Erkenntnis durch Begriffe, nicht intuitiv, sondern diskursiv. Alle Anschauungen als sinnlich beruhen auf Affektionen, die Begriffe also auf Funktionen. Ich verstehe aber unter Funktion die Einheit der Handlung, verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen. Begriffe gründen sich also auf der Spontaneität des Denkens wie sinnliche Anschauung auf der Rezeptivität der Eindrücke. Von diesen Begriffen kann nun der Verstand keinen anderen Gebrauch machen als dass er dadurch urteilt. Da keine Vorstellungen unmittelbar auf den Gegenstand geht als bloß die Anschauung, so wird ein Begriff niemals auf einen Gegenstand unmittelbar, sondern auf irgendeine andre Vorstellung von demselben bezogen. Das Urteil ist also die mittelbare Erkenntnis eines Gegenstandes, mithin die Vorstellung einer Vorstellung desselben. In jedem Urteil ist ein Begriff, der für viele gilt und unter diesem Vielen auch eine gegebene Vorstellungbegreift, welche letztere dann auf den Gegenstand bezogen wird. ……..
Wir können also alle Handlungen des Verstandes auf Urteile zurückführen, sodass der Verstand überhaupt als ein Vermögen zu urteilen vorgestellt werden kann. Denn er ist nach dem Obigen ein Vermögen zu denken. Denken ist das Erkenntnis durch Begriffe. Begriffe aber beziehen sich als Prädikat möglicher Urteile auf irgendeine Vorstellung von einem noch unbestimmten Gegenstande. ………
Die Funktionen des Verstandes können also insgesamt gefunden werden, wenn man die Funktionen der Einheit in den Urteilen vollständig darstellen kann“ (a.a.O. S.AA 85-87).
Wenn man eine Ursache erforschen will, muss man sich an die verursachten Wirkungen halten.
Dies ist auch der Weg, den Kant einschlägt, wenn er es unternimmt, den Verstand als Ursache aller unserer Erkenntnisse zu untersuchen. Dass der Verstand bei seiner Erkenntnisarbeit mit in seinem Innersten entstandenen Begriffen a priori arbeitet und damit nur Urteile hervorbringen kann, setzt der Philosoph voraus. Seine Untersuchungen an den Auswirkungen der Verstandesarbeit beziehen sich also nur auf die Natur der reinen Verstandesbegriffe und auf die Frage, auf welche Weise und in welchem Umfang man diese Kategorien definieren kann. Da der Verstand nach Kant nur Urteile verursachen kann, muss Kant somit die Urteile zergliedern, um von ihrer verschiedenen Art auf die im Rahmen der „Spontanität des Denkens“ geschaffenen Kategorien schließen zu können.
Kant präsentiert sodann die Urteilstafel, die im zweiten Teil meiner Kantbetrachtung bereits vorgestellt ist. Diese Zusammenstellung, die aus 12 Urteiltypen besteht, ist nach Kant vollständig und deckt damit alle denkbaren Möglichkeiten des Urteilens ab. Sie ist in der philosophischen Betrachtung als verursachte Wirkung des Verstandes ein Rückschuss auf dessen Struktur und begrenzt in symmetrischer Weise die Art und die Anzahl der Kategorien. Sie sind Werkzeuge des Verstandes und haben eine sammelnde und strukturierende Funktion. Wie die Kategorien entstanden sind und wie sie geartet sind, muss trotz der Vorgabe durch die Urteilstafel besonders eruiert werden.
An dieser Stelle halte ich inne. Ich bin jetzt an einem Punkt angekommen, den ich den Kant’schen Steinbruch nenne. Ich bin hier vermutlich mit dem wichtigsten und schwierigsten Thema seiner „Kritik“ befasst, nämlich dem menschlichen Verstand in seiner Struktur und seiner Arbeitsweise. Es fällt auf, dass Kant den Verstand nicht als materielles Organ im menschlichen Körper beschreibt, sondern ausschließlich aus den immateriellen menschlichen Denkprozessen auf die Existenz, die Machart und auf die Arbeitsweise des Verstandes schließt. Auch hier wird die Ursache, (also der Verstand in seiner Gestaltung und in seiner Produktion), aus ihren Wirkungen definiert.
Um meinem Ringen um Verständnis einen neuen Impuls zu geben, werde ich alle sich aufdrängenden Fragen auflisten, die unterdessen aus dem Studium „Der Analytik der Begriffe“ entstanden sind.
Um den Verstand zu erläutern, geht Kant zunächst von der Urteiltafel aus, weil er der Meinung ist, dass der Verstand als urteilendes Organ nur Urteile im Umfang dieser Urteilstafel produzieren kann. Dabei ist mir nicht klar, wie Kant diese Tafel ermittelt und woher Kant die Überzeugung herleitet, dass die von ihm aufgeführten 12 Urteile alle Verstandesurteile umfassen.
Von den Wirkungen des Verstandes, also von den Urteilen leitet Kant über zu den reinen Verstandesbegriffen, den sogenannten Kategorien, die als Werkzeuge des Verstandes für das Verstehen der Welt, also für die menschliche Erkenntnis unabdingbar sind. Bei diesem Überleitungsprozess kommen zwei neue Faktoren ins Spiel, nämlich die sogenannte Synthesis und die sogenannte Deduktion der reinen Verstandesbegriffe. Beide Elemente sind eng verbunden mit der Existenz und Wirksamkeit der Kategorien. Hier stellt sich bei mir die Frage, ob und gegebenen falls auf welche Weise diese beiden Verfahrensweisen die Kategorien begründen und in ihrer Wirkweise beschreiben.
Zunächst zu den Urteilstafeln. Hierzu schreibt Kant:
„Wenn wir von allem Inhalte eines Urteils überhaupt abstrahieren und nur auf die bloße Verstandesform darin achtgeben, so finden wir, dass die Funktion des Denkens in demselben unter vier Titel gebracht werden könne, deren jeder drei Momente unter sich enthält. Sie können füglich unter folgender Tafel vorgestellt werden.“ (a.a.O. S. AA S.87)
Damit wird deutlich, dass Kant die Urteilstafel nicht aus einem philosophischen Ansatz entwickelt, sondern sie gänzlich dem vorhanden Bestand der anerkannten Logiklehre entnimmt.
Die Beziehung zwischen den 12 Urteilmöglichkeiten und den 12 Kategorien ist dadurch gekennzeichnet, dass Letztere aus der Urteilstafel abgeleitet werden. Diesen Findungsprozess legt und Kant aber auch nicht dar, sondern präsentiert die beiden Tafeln ohne Erörterung ihrer Entstehung.
Die beiden neu genannten Verfahrensweisen, also die Synthesis und die Deduktion haben mit der Erfindung der beiden Tafeln nichts zu tun. Die Synthesis beschreibt vielmehr die jeweiligen Denkprozesse in den Urteilen und mit den Kategorien. Die Deduktion belegt die Notwendigkeit der Kategorien als eine der Grundlagen jeder Erkenntnis.
Ob ich Kants Synthesis und seine Deduktion der reinen Verstandesbegriffe, also der Kategorien zutreffend verstanden habe, möchte ich anhand der nachstehenden Zitate ausloten. Zunächst zur Synthesis:
„Allein die Spontaneität unseres Denkens erfordertes, dass dieses Mannigfaltige zuerst auf gewisse Weise durchgegangen, aufgenommen und verbunden werde, um daraus eine Erkenntnis zu machen. Diese Handlung nenne ich Synthesis.
Ich verstehe aber unter Synthesis der allgemeinsten Bedeutung die Handlung, verschiedene Vorstellungen zueinander hinzuzutun und ihre Mannigfaltigkeit in einer Erkenntnis zu begreifen. Eine solche Synthesis ist rein, wenn das Mannigfaltige nicht empirisch, sondern a priori gegeben ist (wie das in Raum und Zeit). Vor aller Analyse unserer Vorstellungen müssen diese zuvor gegeben sein, und es können keine Begriffe dem Inhalt nach analytisch entspringen“ (a.a.O. S. AA 91).
Zunächst betrachte ich die Synthesis bei der Herstellung von Urteilen.
Die Synthesis ist eine Handlung des Verstandes, also ein Denkvorgang. Wenn die von den Sinnen ihrer Art entsprechend interpretierten Sinneseindrücke im Verstand ankommen, müssen sie wegen deren Vielzahl, also in ihrer empirischen Mannigfaltigkeit und in ihrer reinen Form a priori (Raum und Zeit) so geordnet werden, dass daraus eine Subsumierung unter die Kategorien möglich ist und anschließend eine Erkenntnis und damit ein Urteil gewonnen werden kann.
„Allein die Synthesis ist doch dasjenige, was eigentlich die Elemente zu Erkenntnissen sammelt und zu einem gewissen Inhalt vereinigt; sie ist also das erste, worauf wir acht zu geben haben, wenn wir über den ersten Ursprung unserer Erkenntnis urteilen wollen“. (a.a.O. S.AA 91).
Die Synthesis spielt aber auch eine Rolle bei der Bildung der Kategorien.
„Allein diese Synthesis auf Begriffe zu bringen, das ist eine Funktion, die dem Verstand zukommt und wodurch er uns allererst die Erkenntnis in eigentlicher Bedeutung verschafft“ (a.a.O. S Aa91).
Diese, von Kant so genannte reine Synthesis beschäftigt sich mit der Vielzahl der ungeordneten einfachen reinen Verstandesbegriffe, die mittels der reinen Synthesis zu den 12 obersten Verstandesbegriffen, den Kategorien geordnet werden.
Dieses Statement belege ich mit den folgenden Zitaten:
„Die reine Synthesis, allgemein vorgestellt, gibt nun den reinen Verstandesbegriff………Dieselbe Funktion, welche den verschiedenen Vorstellungen in einem Urteile Einheit gibt, die gibt auch der bloßen Synthesis verschiedener Vorstellungen in einer Anschauung Einheit, welche, allgemein ausgedrückt, der reine Verstandesbegriff heißt .Derselbe Verstand also, und zwar durch eben dieselben Handlungen, wodurch er in Begriffen vermittelst der analytischen Einheit die logische Form eines Urteils zustande brachte, bringt auch vermittelst des synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in der Anschauung überhaupt in seine Vorstellungen einen transzendentalen Inhalt, weswegen sie reine Verstandesbegriff heißen….“ (a.a.O. S.AA 92).
Der Verstand also, der Verursacher unseres Denkens, bewirkt durch dieselbe Handlung, mit der er mittels der sammelnden und ordnenden Strategie der Synthesis eine gedankliche Einheit und damit ein Urteil hervorruft, auch die Kategorien. Er sammelt und ordnet ebenso die Mannigfaltigkeit der einfachen reinen Verstandesbegriffe und vereinheitlicht sie zu den reinen Verstandesoberbegriffen, den Kategorien, unter die in ihrer Anzahl 12 alle erdenklichen Sinneseindrücke zu Urteilen subsumiert werden können.
„Auf solche Weise entspringen gerade so viel reine Verstandesbegriffe, welche a priori auf Gegenstände der Anschauung überhaupt gehen als es in der vorigen Tafel logische Funktionen in allen möglichen Urteilen gab: denn der Verstand ist durch gedachte Funktionenvöllig erschöpft und sein Vermögen dadurch völlig ausgemessen. Wir wollen diese Begriffe nach dem Aristoteles Kategorien nennen, indem unsere Absicht uranfänglich mit der seinigen zwar einerlei ist, ob sie sich gleich davon in der Ausführung gar sehr entfernt“ (a.a.O. S.AA 92)
Damit macht Kant deutlich, dass die Urteile der Tafel die von den Kategorien verursachte Wirkung insoweit darstellen als die Urteile die Weiterentwicklung der Kategorien durch den Erkenntnisvorgang sind. Die Anzahl der Kategorien ist identisch mit der Anzahl Urteile. Beide sind spiegelbildlich zueinander geordnet. Sehr deutlich kann man diese Beziehung z.B. bei den Kategorien und den Urteilen der Qualität ablesen. Die dortige Kategorie der Negation führt zu einem verneinenden Urteil. Wenn ich beispielsweise mitten in der Nacht spontan aufwache und erwarte, dass es bereits hell ist, geschieht folgendes: Mein Verstand registriert die eintreffenden Sinnes- und Gefühlseindrücke, sammelt und ordnet sie im Rahmen der Synthesis und verbindet sie in der Ordnung des Schematismus ( über den ich noch berichten werde),mit den passenden Kategorien, hier insbesondere mit der Kategorie der Negation. Damit kommt es zu der Erkenntnis, dass der Tag noch nicht angebrochen ist und zu dem verneinenden Urteil: Es ist noch nicht Tag.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Kategorien keine Erfindung Kants sind, sondern dass sie von Aristoteles, wenn auch in einer anderen Zusammenstellung entwickelt wurden.
Der vorstehende Text ergibt sich aus dem ersten Teil der Analytik der Begriffe. Im zweiten Teil beschäftigt sich Kant mit „der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe“.
Aus der gesamten Sekundärliteratur geht hervor, dass dieses Kapitel das Maßgeblichste aber auch das Schwierigste der gesamten „Kritik der reinen Vernunft“ sei.
Ich will mich deshalb darauf beschränken, den kantschen Begriff der „Deduktion“ zu definieren, die Zielsetzung dieser Deduktion darzustellen und ihr Ergebnis präsentieren.
Die Deduktion im hiesigen Sinn ist keine logische Ableitung, sondern ein juristischer Begriff aus der Zeit Kants und bedeutet die Führung des Beweises, dass ein Handeln rechtens ist.
Angewendet auf die Kategorien heißt dies, dass belegt werden soll, dass diese aus der Urteilstafel gefolgerten reinen Verstandesbegriffe zu Recht als die Elemente angesehen werden können, mit denen die eingehenden Sinneseindrücke zu Erkenntnissen verarbeitet werden. Phillip Keller, Universität Bern, formuliert das Vorstehende so: „Die Deduktion der Kategorien muss zeigen, dass es möglich ist, sie als apriorische Verstandesbegriffe rechtmäßig anzuwenden“.
Man muss sich an dieser Stelle darüber im Klaren sein, dass die kantsche Deduktion nicht die Ableitung und Begründung der Kategorien bedeutet, auch nicht ein Beweis dafür, wie sie funktionieren (das geschieht durch den noch zu beschreibenden Schematismus), sondern lediglich die Darstellung beinhaltet, dass die Kategorien absolut notwendig sind, um den Denkvorgang mit der Erkenntnis möglich zu machen. Soweit ich den vielschichtigen Text verstanden habe, will Kant hier keinen Beweis antreten, sondern die Notwendigkeit der Kategorien lediglich aus dem Ablauf der Erkenntnisvorgangs erklären. Dabei wirken zusammen die sinnliche Anschauung unter Einbeziehung der beiden reinen Anschauungen Raum und Zeit, der Denkapparat des Menschen, eingebettet in sein Selbstbewusstsein, die Spontanität des Denkens unter Berücksichtigung der Kategorien und die Kompetenz dieser apriorischen Verstandesbegiffe , sich mit den in den Verstand einlaufenden Informationen erkenntnisorientiert zu verbinden (Schematismus).