Menü Schließen

Immanuel Kant

Mein Weg zum Verständnis   – Zweiter Teil – 

Ich mache nun die Probe aufs Exempel, indem ich die beiden Komplexe, nämlich die physische, die wahrnehmbare Erfahrungswelt und die metaphysischen Bereiche dahingehend untersuche, wie sie durch die kantische Einteilung in analytische und synthetische Urteile beschrieben und bewahrheitet werden.

In der Erfahrungswelt kommen beide Arten der kantischen Urteile vor.

Die analytischen Urteile als ausschließlich reine Verstandesurteile (a priori) und dem Satz des Widerspruchs unterfallend, sind Definitionen ihres Gegenstandes. Nachstehend einige Beispiele:

Junggesellen sind ledig. Körper sind ausgedehnt. Der Kreis ist rund. Menschen und Tiere sind Lebewesen. Die Sonne ist ein Himmelskörper.

Bei diesen Urteilen steckt die Aussage des Prädikats bereits im Subjekt.  Dadurch wird das Subjekt maßgebend bestimmt und das Urteil bewahrheitet sich entweder durch sprachliche Vereinbarung oder durch offensichtliche Anschauung. Hinzu kommt, weil wir uns hier im Bereich der Erfahrungswelt bewegen, dass sowohl das Subjekt wie auch das Prädikat Ausdrücke der Empirie sind .  Rundend kann man feststellen, dass diese Urteile eindeutig sind und nicht in ihr Gegenteil verkehrt werden können (Satz des Widerspruchs).

Betrachtet man in der Erfahrungswelt die synthetischen Sätze, so ist erkennbar, dass sie sowohl als a posteriori als auch als a priori geartet sind.

 In unseren Lebensumständen, in denen Anschauung und Erfahrung dominieren, sind natürlich die synthetischen Urteile a posteriori in der überwältigenden Überzahl. Nachstehend einige Beispiele:

Der Ball ist rot. Ich liebe den Herbst. Deutschland überfällt Polen. Amerika ist eine Weltmacht. Wölfe fressen Schafe. Kant schrieb die Prolegomena. Die Klimakatastrophe nähert sich.

Die Beschreibung der sinnlich wahrnehmbaren Welt, aller Geschehnisse und aller Äußerungen des Lebens wird ausschließlich in den synthetischen Urteilen a posteriori festgehallten, weil die entsprechenden Fakten und Vorkommnisse nur durch die Sinne und dann durch die Erfahrung ermittelt werden.  Das Subjekt des Urteils wird in diesen Fällen nicht wie bei den analytischen Sätzen definitorisch deklariert, sondern um echte neue Fakten erweitert. Deshalb werden diese Urteile auch nicht durch Satz vom Widerspruch bestimmt, weil man hier jederzeit ohne logische Verletzungen das Gegenteil behaupten kann.

Und jetzt zu den synthetischen Urteilen a priori:
Kant präsentiert ein Beispiel aus der Mathematik: 5 + 7 = 12. Auf den ersten Blick könnte man annehmen, dass dies ein analytisches Urteil sei, weil das Subjekt diese Summe bereits enthält. Die genannte Summe ist aber nicht die einzige, die 12 definiert. Vielmehr gibt es eine Vielzahl von Additionen, die die Zahl 12 ergeben.  Damit beschreibt das Prädikat nicht ausschließlich das Subjekt des Urteils Das ist die Zusatz Information, die dieses Urteil zu einem synthetischen Urteil macht.

 Eine andere Begründung wird darin gesehen, dass weder die 5 und die 7 noch der Additionsvorgang begrifflich die 12 definieren, sodass die 12 nur im Rahmen der Zeit durch sukzessive Addition ermittelt werden kann. Also nur über diese sinnliche Anschauung ist es möglich, die 12 synthetisch zu bestimmen.

Auch in der reinen Geometrie seien die Verhältnisse synthetisch und a priori. „Dass die gerade Linie zwischen zwei Punkten die kürzeste sei, ist ein synthetischer Satz. Denn mein Begriff vom Geraden enthält nichts von Größe, sondern nur eine Qualität. Der Begriff des Kürzesten kommt also gänzlich hinzu und kann durch keine Zergliederung aus dem Begriffe der geraden Linie gezogen werden. Anschauung muss also hier zur Hilfe genommen werden, vermittelst deren allein die Synthesis möglich ist“ (a.a.O. S 17/18)

Der oben beschriebene synthetische Vorgang wird ergänzt durch den analytischen Teil, also durch den mathematischen Vorgang, das als rein gedanklicher Prozess evident ist.

 

Jetzt betrachten wir die Anwendung der analytischen und synthetischen Urteile in der Metaphysik.

Was die analytischen Urteile in der Metaphysik angeht, so können dies nur Erläuterungs-oder- Definitionsurteile sein. Dabei dürfen Subjekt und Prädikat des Urteils nicht den Begriffen der Erfahrungswelt angehören, weil sie sonst in diesem Komplex beheimatet wären. Dabei muss, wie gesagt, das Prädikat maßgebend für den Gehalt des Subjekts sein und der Satz des Widerspruchs muss gelten. Interessanterweise finde ich keine einschlägigen Beispiele!  Das hängt wohl damit zusammen, dass die Metaphysik in der Analysis immer im Subjekt und im Prädikat mit metaphysischen Begriffen arbeitet, also mit Begriffen, die rein dem Verstand entsprungen und damit in der durch unsere Sinne geprägten Welt unbestimmbar, nicht konsensfähig und vieldeutig, also nicht beweisbar sind, sodass sie sich nicht für das in Frage kommende Erweiterungs-bzw. Definitionsurteil eignen. Hier hat dazu der Satz des Widerspruchs keinen Platz, weil die Vieldeutigkeit und Unbestimmbarkeit eine Vielzahl gegensätzlicher Auslegungen zulassen.

Kommen wir also jetzt zu dem Teil der Betrachtung, der für Kant der Ausgangspunkt seiner Untersuchungen ist, nämlich der Frage, ob es in der Metaphysik synthetische Urteile a priori gibt, die man auch als wirklich und wahr ansehen kann.

Zunächst muss ich konstatieren, dass alle Urteile in der Metaphysik synthetische Urteile a priori sind, denn synthetische Urteile a posteriori gibt es in diesem Bereich nicht. Diese sind nur in der Erfahrungswelt zu finden, wie oben besprochen.

Die synthetischen Urteile a priori sind dadurch gekennzeichnet, dass entweder Subjekt und Prädikat aus metaphysischen Begriffen bestehen oder dass ein Satzglied metaphysisch ist und das andere der Familie der Erfahrungsbegriffe angehört.

 Jetzt einige Beispiele für die erste Variante: Gott hat Himmel und Hölle erschaffen. Engel sind Geschöpfe Gottes. Der Teufel ist der Höllenfürst. Die Seele des Menschen ist unsterblich.

Subjekt und Prädikat enthalten hier Begriffe, die nicht durch die Erfahrung gedeckt sind, sondern allein Ausgeburten der Vernunft oder etwas aggressiver gesagt der menschlichen Phantasie sind.

Die meisten Fälle sind aber in der zweiten Version zu finden, also in der mit den unterschiedlichen Satzgliedern.

Auch hier einige Bespiele: Jesus Christus ist Gott. Jesus ist von den Toten auferstanden. Der Mensch ist ein Geschöpf Gottes. Der Mensch wird wiedergeboren. Erzengel Gabriel überbrachte Mohamed die Botschaft Gottes. Maria wurde lebendigen Leibes in den Himmel aufgenommen.

Wenn ich bei der bisherigen Betrachtung der Kantischen Urteile die metaphysischen Begriffe als nicht beweisbar bezeichnet habe, so habe ich damit Kants Untersuchungsergebnis in der Kritik vorweggenommen. Dies war aber notwendig um zu begründen, warum es in der Metaphysik keine analytischen Urteile gibt. Beim jetzigen Stand unserer Betrachtung sind wir mit Kant noch im Fragemodus, ob in der Metaphysik synthetische Urteile a priori möglich seien.  Es folgt dann zur Beantwortung dieser Frage    seine große Studie über die Kompetenzen der reinen Vernunft und die Neubewertung der Metaphysik, die ich nachstehend im Ringen um Verständnis darstellen will.

Zuvor aber soll nach diesem Einschub die Vorstellung der synthetischen Urteile a priori in der Metaphysik abgeschlossen werden. Dabei möchte ich nochmals in Erinnerung rufen, dass in synthetischen Urteilen das Subjekt des Satzes durch das Prädikat erweitert wird, indem ihm eine zusätzliche Information beigeordnet ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob das erweiternde Prädikat ein Gegenstand der Erfahrungswelt ist oder den metaphysischen Begriffen zuzurechnen ist. Gehört allerdings das Prädikat zur Erfahrungswelt, muss das Subjekt des Satzes ein metaphysischer Begriff sein, damit das synthetische Urteil weiterhin im Bereich der Metaphysik verbleibt.

Die Metaphysik lebt davon, dass die durch die synthetischen Urteile a priori gewonnen neuen Erkenntnisse für wahr gehalten werden. Dies war bis zum Einschreiten Kants auch mehr oder weniger der Fall, obwohl alle gefunden Neuigkeiten reine Erzeugnisse des Verstandes sind (a priori), also individuelle Phantasieprodukte. Dem Verstand wurde aber zugetraut- und dies galt insbesondere im Rationalismus-, dass er auch ohne sinnliche Anschauung wahre Erkenntnisse erzeugen könne. Hierzu am Ende der ausführlichen Einführung die bildstarken Worte Kants über die Natur und die Zukunft der Metaphysik.  Kant fragt: Wie sind synthetische Sätze a priori möglich? (a.a.O. S.26). Da die Metaphysik nur solche Urteile kennt, hat mich diese Frage solange irritiert, bis ich erkannt habe, dass mit dem Begriff „möglich“   gemeint ist, dass sie wahr sein sollten, also zutreffend und beweisbar. Also nochmals die Frager Kants: Kann man synthetische Sätze a priori (metaphysische Urteile) wahr machen, sie also naturwissenschaftlich beweisen und sie als unstreitig zutreffende Erkenntnisse gewinnen?

Und nun die Antwort Kants als Rundung der Einführung und als Ansage der durch die Frage. veranlassten Überlegungen und Untersuchungen:

„Auf die Auflösung dieser Aufgabe nun kommt das Stehen oder Fallen der Metaphysik und also ihre Existenz gänzlich an. Es mag jemand seine Behauptung in derselben mit noch so großem Schein vortragen, Schlüsse auf Schlüsse bis zum Erdrücken anhäufen; wenn er nicht vorher jene Frage hat genugtuend beantworten können, so habe ich recht zu sagen: es ist alles eitele, grundlose Philosophie und falsche Weisheit. Du sprichst durch reine Vernunft und maßest dir an, a priori Erkenntnisse gleichsam zu erschaffen, indem du nicht bloß gegebene Begriffe zergliederst, sondern neue Verknüpfungen vorgibst, die nicht auf dem Satz des Widerspruchs beruhen, und die du doch ganz unabhängig von aller Erfahrung einzusehen vermeinst; wie kommst du nun hierzu, und wie willst du dich wegen solcher Anmaßung rechtfertigen“. (a.a.O. S. 26/27).

Ausgangspunkt für Kants Untersuchen an der Metaphysik in seiner „Kritik“  ist also seine Ansicht, dass die bisherige Version der Metaphysik eine eitele , grundlose , falsche und anmaßende Philosophie  sei und das sagt er mit solcher Wucht, dass man annehmen könnte, seine Ansicht habe sich schon zur festen Überzeugung verdichtet und eine Untersuchung zur Rettung der Metaphysik sei überhaupt nicht mehr nötig. Kant will aber gar nicht retten, sondern nimmt die seiner Ansicht nach maroder Metaphysik nur zum Anlass, Klarheit über die menschliche Erkenntnisfähigkeit zu erlangen. Kant weiter:

„Alle Metaphysiker sind demnach von ihren Geschäften feierlich und gesetzmäßig solange suspendiert, bis sie die Frage: Wie sind synthetische Erkenntnisse a priori möglich? genugtuend beantwortet haben. Denn in dieser Beantwortung allein besteht das Kreditiv, welches sie vorzeigen mussten wenn sie im Namen der reinen Vernunft etwas bei uns anzubringen haben; in Ermangelung desselben aber können sie nichts anderes erwarten, als von den vernünftigen, die soft schon hintergangen worden, ohne alle weiteren Untersuchung ihres Anbringens abgewiesen zu werden“. (a.a.O. S.28).

Nachstehend kommt Kant zu einem weisen Ratschlag an die Vertreter der Metaphysik, der das Ergebnis seiner Untersuchungen in der „Kritik“ vorwegnimmt und heute als verbindliche Bewertung der Metaphysik und damit auch der Religionen gelten kann.

„Wollten sie dagegen ihr Geschäft nicht als Wissenschaft, sondern als eine Kunst heilsamer und dem allgemeinen Menschenverstande anpassender Überredung treiben, so kann ihnen dieses Gewerbe nach Billigkeit nicht verwehrt werden. Sie werden alsdann die bescheidene Sprache eines vernünftigen Glaubens führen, sie werden gestehen, dass es ihnen nicht erlaubt sei, über das, was jenseits der Grenzen aller möglichen Erfahrung hinausliegt, auch nur einmal zu mutmaßen, geschweige denn etwas zu wissen, sondern nur etwas zum praktischen Gebrauch anzunehmen, was zur Leitung des Verstandes und Willens im Leben  möglich und sogar unentbehrlich ist“. (a.a.O. S. 29)

Metaphysik als Wissenschaft und die Religionen als Grundlage von Wissenschaft werden damit in den Glaubensbereich verwiesen und als Lebenshilfe eingestuft. Theologie ist lediglich in ihrer historischen Entwicklung wissenschaftlich als Geschichtswissenschaft haltbar.

Damit endet der zweite Teil meines Weges zum Kantverständnis. In der nächsten Folge beschäftige ich mich mit der von Kant so benannten Transzendentalphilosophie, also mit den Hauptstücken seiner Kritik der reinen Vernunft.